Von Mäusen, Ratten und Priestern by Wolfgang Mainka

Von Mäusen, Ratten und Priestern by Wolfgang Mainka

Autor:Wolfgang Mainka
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Echter Verlag
veröffentlicht: 2015-12-15T00:00:00+00:00


Der Große Rat

Im Dom herrschte reges Treiben unter den Dommäusen. Die Zusammenkunft des Großen Rates, eines Ereignisses, das selten, ja fast nie in einem Mäuseleben vorkam, stand kurz bevor. Alle Mäusefamilien des Domes kommen dabei zusammen, vereint in der Absicht, ein schlimmes Unheil zu verhindern.

An dieser Stelle sollte einmal erzählt werden, wie die Dommäuse dereinst in den Dom kamen. Eigentlich waren die Mäuse auf der Festung hoch über der Stadt zu Hause. Als Festungsmäuse der jeweils regierenden Fürstbischöfe lebten sie dort während der Regierungszeit der Spitzbergs und Zobels, der Scherenbergs und Wolfkeels, der Bibras, Echters und wie sie alle hießen. Den Mäusen ging es dort sehr gut, es gab genug zu essen und zu trinken und sicher waren sie im Schutz der Burg allemal. Dieses beschauliche Leben aber fand ein Ende, als der jeweilige Bischof verstorben war und im Dom unten in der Stadt begraben werden sollte. Der Umzug der Mäuse und ihres toten Bischofs in den Dom war ein ganz besonderer Vorgang, eine besondere letzte Reise des weltlichen und geistlichen Herrschers.

Der einzige, der alles über diese Tradition weiß, ist der Hedan. Als Einhundertsiebzehnter seiner Familie lebt er heute noch wie seine Vorfahren auf der Festung. Er ist die älteste Kirchenmaus der Stadt und hat in alten Schriften alles dokumentiert, auch zum Begräbnis des Bischofs und zum Umzug der Kirchenmäuse. Hedan, dies sei noch erwähnt, lebt in der Marienkirche, der ältesten Kirche Würzburgs, vielleicht sogar im ganzen Frankenland. Sie soll mehr als 1300 Jahre alt sein. Die Kirche wurde gebaut, kurz nachdem der Frankenapostel Kilian mit seinen Begleitern Kolonat und Totnan den Märtyrertod erlitten hatte. Den seltsam anmutenden Namen Hedan soll er nach eigenen Angaben von Hedan, dem Sohn des Herzogs Gosbert, bekommen haben. Der errichtete die Kirche an der Stelle, wo sein Vater Gosbert getauft worden war, und ließ sie der Mutter Gottes weihen. Damit ist sie in jedem Falle die älteste Marienkirche im Frankenland.

Hedans Vorfahren stammen also quasi unmittelbar vom fränkischen Herzogsgeschlecht ab – uralter Adel. Man muss sich das mal vorstellen: ein 1300 Jahre altes Mäusegeschlecht! Wo sonst auf der Welt gibt es eines, das älter ist? Vielleicht die Mäuse in St. Peter in Rom oder im Tempel von Jerusalem?

Doch zurück zum Begräbnis der Fürstbischöfe. Hedan der Elfte, ein Vorfahre des derzeitigen Hedan, hat den Hergang eines Begräbnisses einst aufgeschrieben, als der Bischof Melchior von Zobel gestorben war. Er war selbst hautnah dabei und fast wäre es auch sein eigenes Begräbnis gewesen.

Zunächst muss man sagen, dass Bischof Melchior seinerzeit keines natürlichen Todes gestorben, sondern einem politischen Attentat zum Opfer gefallen war. Der Tod des Bischofs und der damit verursachte Umzug traffen die Mäuse des Melchior also völlig unerwartet und verursachten ziemliche Turbulenzen und Probleme. Melchior hatte einst Ärger mit einem Verwandten, dem er Geld versprochen und dann doch nicht gegeben hatte. Daher beauftragte dieser Verwandte, Wilhelm von Grumbach, ein übler Geselle aus dem Ort Rimpar mit sehr schlechtem Leumund, seine Leute, den Bischof gefangen zu nehmen und ein Lösegeld zu erpressen. Selten war das Wort „Familienbande“ so zutreffend.



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