Vergeltung am Degerloch by Christine Lehmann

Vergeltung am Degerloch by Christine Lehmann

Autor:Christine Lehmann
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2011-12-18T23:00:00+00:00


17

»Wie gesagt, Böblingen scheidet eigentlich aus«, behauptete ich, als Krk und ich zusammen mit seinem Fotokoffer durch den Berufsverkehr über die Autobahn nach Böblingen rasten. »Da hat Uwe gewohnt. Und wir glauben doch, dass er seine Opfer mit dem Auto suchte, also in der Ferne.«

»Das muss gar nichts heißen. Du fährst ja auch mit dem Auto in die Stadt.«

»Ungern«, sagte ich. »Frauen können nicht einparken.«

»Darum war Uwe ja auch ein Mann. So viel steht wenigstens fest. Musst du so schnell fahren?«

Ich bremste etwas.

»Außerdem wissen wir noch gar nicht«, sagte Krk, »wo die Frau aus Böblingen verschwand. Uwe könnte sie an irgendeiner Bushaltestelle, zum Beispiel in Vaihingen, aufgelesen haben. Dann fuhr er mit ihr in irgendeinen Wald. Zufall, dass die Frau aus Böblingen war. Und auch wieder kein Zufall, denn sie stieg als Tramperin zu ihm ins Auto. Sindelfingen, Böblingen, Herrenberg, alles heimatliche Gegend. Und die anderen, das sind Haltestellenangriffe: die Frau in Botnang vor zwei Jahren, und im vergangenen Jahr versucht er sich in Rohr an Susanne Schäufele. Und jetzt, nach dem Kino, auf dem Weg zur S-Bahn-Haltestelle, Gabi. Das passt doch.«

»Wo wohnte Uwe denn?«

Krk zog seinen Zettel hervor. »Berggraben 103.«

Ich kannte mich in Böblingen nur unvollkommen aus und musste ein paarmal fragen, bis wir auf dem Berggraben waren, einer Straße, die auf der Halbhöhe unterhalb der Panzerkaserne um den Berg führte. Sie endete mit sehr hohen Hausnummern im Wald. Es war bereits dunkel, als wir begannen, die Nummer 103 zu suchen. Auf der linken Seite hörten die Häuser auf einmal auf. Da war eine Mauer, dahinter Bäume, ein Friedhof.

Plötzlich wurde mir klar, dass Uwe praktisch mit Blick auf den Friedhof gewohnt hatte, auf dem er jetzt beerdigt worden war. 103 war ein Eckhaus, dreistöckig, ein wenig kasernenhaft, ockerfarben mit zwei Eingängen, einem im Berggraben und einem, der vermutlich zum nächsten Teil des Reihenkonstrukts gehörte, in der Lerchenstraße, genauer gesagt in der Lärchenstraße. Das jedenfalls stand in Fraktur auf dem Straßenschild. Ich grübelte über den Lesefehler nach, als ich begriff, worüber ich tatsächlich nachdachte: Lärchenstraße oder Lerchenstraße? Im Schwäbischen kann man akustisch ä von e nicht unterscheiden. Kurzum: Lärchenstraße 1, dort hatte die Vermisste aus Böblingen gewohnt. Im Eckhaus, genau gegenüber den Häberles.

Krk war bereits ausgestiegen und hatte sich die Fototasche auf die Schulter geschwungen. Er marschierte auf den Eingang Berggraben zu. Ich eilte ihm hinterher und hielt ihn am Arm zurück. Er fuhr jesusmäßig zusammen.

»Schau«, sagte ich. »Lärchenstraße. Da hat sie gewohnt.«

Krks viel zu große graue Augen musterten die Fassade, wie man eine Frau abcheckt: zu viel Masse, ungeschickt das grüne Kleid, hässlich.

»Wetten«, sagte ich, »Uwes Kinderzimmer geht nach hier heraus.«

Krk klingelte energisch bei Häberle, zweiter Stock. Er hatte sein abgewracktes Gesicht zu einem gewichtigen Reporterballon aufgeblasen und seine Hand mit einer Kamera bewaffnet. Ich folgte ihm als schwuler Volontär. Wir rumpelten das Treppenhaus hinauf. Die Alte stand in geblümter Schürze auf dem Treppenabsatz. Sobald er sie sah, fing Krk an zu reden: »Guten Abend, Frau Häberle. Noch einmal herzliches Beileid. Wie geht es Ihnen heute? Ich komme vom Stuttgarter Anzeiger.



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