Umbruch by Friedemann Bartu
Autor:Friedemann Bartu
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Orell Füssli
veröffentlicht: 2020-05-15T00:00:00+00:00
Effektiv sparsam war man aber bei den Löhnen. Selbst in guten Zeiten gab es nur geringe Aufbesserungen, weil man ja, so das Argument der Obrigkeit, immer fürchten musste, von der nächsten Konjunkturabkühlung getroffen zu werden. Also pflegte man die Kunst des Jammerns ohne zu leiden. Wirklich leiden musste die NZZ-Gruppe aber 2002, als sie einen rekordhohen Verlust von 50 Millionen Franken einfuhr, was umgehend einen Abbau von Leistung und Personal in allen Bereichen zur Folge hatte. »Ziel dieser Massnahmen ist nicht das Sparen, sondern die Herausgabe einer qualitativ guten Zeitung mit weniger Kosten«, hiess es damals in einer internen Mitteilung. Was lapidar daherkam, wurde fortan zur ungewollten Strategie. In jedem Jahr, in dem die Einkünfte aus der Werbung sanken, galt es das Kostenkleid dem engeren Einnahmenkorsett anzupassen. Und so kam es zwischen 2002 und 2017 zu sieben Sparrunden – im Mittel eine fast alle 24 Monate. Ein Ende dieses Prozesses ist nicht absehbar. Im Gegenteil: Bereits rüstet man sich auf den Tag, an dem als Folge dieser Schwindsucht vielleicht überhaupt keine Werbegelder mehr in die gedruckte Zeitung fliessen werden. Ergo verharrte man im Sparmodus, auch 2019 unter Felix Graf, dem dritten CEO innert zehn Jahren.
Der erste, Polo Stäheli, hatte vom Verwaltungsrat einen klaren Auftrag zum Sparen bekommen. Und das tat er auch. Er sparte, wo er konnte. Die Mitarbeiter der Falkenstrasse wurden sogar angehalten, die Lifte im Haus weniger zu benutzen. Diese, so hiess es, würden häufiger verwendet als im Warenhaus Jelmoli. Man sparte im Winter an der Heizung und im Sommer an der Kühlung. Zudem lud er erstmals keine ehemaligen Redaktionsmitglieder zum traditionellen Mittagessen im Anschluss an die NZZ-Generalversammlung ein. Und im NZZ Bistro waren vorübergehend für ein Glas Leitungswasser 70 Rappen zu bezahlen. Der CEO löste stille Reserven auf, indem er Immobilien im In-und Ausland über deren Buchwert versilberte – einschliesslich vieler Korrespondentenhäuser. Allein der Verkauf der Residenz in Tokio soll 1,7 Millionen Franken in die Kasse der NZZ gespült haben. Insgesamt verringerte sich der in der Bilanz ausgewiesene Immobilienbestand zwischen 2008 und 2013 um über 40 Millionen Franken. Stäheli tätigte zudem tiefe Einschnitte im Verlag und übernahm selber viel von dessen Tätigkeit. Ausserdem kürzte er das Redaktionsbudget von 60 Millionen Franken auf 40–45 Millionen Franken.
Damit geriet er auf Kollisionskurs mit dem jungen Chefredaktor Spillmann, der Bütler 2006 beerbt und während fast zwei Jahren – gemäss dem Primat der Publizistik – auch den Vorsitz in der Geschäftsleitung innehatte. Weil diese Funktion nun an den CEO übergegangen war, kam es zu einem systeminhärenten Machtkampf. Dabei waren die Rollen ungleich verteilt: Hier der routinierte CEO, der keinerlei Bindung zur NZZ hatte; dort der ihm alters- und erfahrungsmässig weit unterlegene Chefredaktor, der schon seit 1997 bei der NZZ arbeitete und entsprechend viel Empathie für die Redaktion empfand. Spillmann tat sich sehr schwer mit den von CEO und Präsident verordneten Kahlschlägen. Anfänglich wehrte er sich wie ein Löwe gegen die beiden »Chefbuchhalter« an der Unternehmensspitze. Später begann er passiven Widerstand zu leisten und setzte längst nicht alles um, was umzusetzen ihm befohlen worden war.
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