Tiergeschichten vom Ponyhof by Lise Gast

Tiergeschichten vom Ponyhof by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-04-14T00:00:00+00:00


Die ersten Turniere

Eines Tages war es soweit: Christoph, unser Jüngster, hatte sich zum Turnier gemeldet. Er ritt damals eine Württemberger Stute, die einem Bauern gehörte und die meisten Dummheiten ihres Lebens hinter sich hatte, so hofften wir. Sie sprang sicher und ließ sich willig von einem Hindernis zum andern führen, zumal wenn es sich um einen solch leichten Reiter handelte. Christoph war damals zwölf und nie besonders schwer gewesen. Er hatte die Stute oft in der Koppel des Bauern gesprungen und war so einig mit ihr, daß er einmal — die Koppel liegt an einer vielbefahrenen Straße — während des Sprunges sah, wie ein vorbeirasender Wagen eine Pute des Bauern erwischte und überfuhr. Er hatte während des Sprunges gesehen, daß es ein Mercedes gewesen war, sogar die Autonummer hatte er erkannt. Wir anderen bewunderten das sehr. Ich hatte nur auf unseren Jüngsten gestarrt und sein Wiederaufsetzen auf der Erde beobachtet. Das Aufsetzen ist oft das Schwierigste, und ich kann nie begreifen, wie es Reiter fertigbringen, nach einem sehr hohen Sprung wieder glücklich zu landen.

Nun klingt es sehr leicht, sich zum Turnier zu melden, man muß dazu aber auch richtig angezogen sein, sprich vorschriftsmäßige Kleidung tragen, und um den Kindern ordentliche Reitkleidung zu kaufen, dafür reichte es noch nicht. Acht Kinder in der Ausbildung, damals kostete die höhere Schule auch noch Schulgeld, vom Studium der „Großen“ mal ganz abgesehen, und dies alles mußte buchstäblich „erschrieben“ werden.

Wir gingen also auf Pump. Das Jackett bekam er von einem Bekannten geliehen, von Onkel Heinrich, der nicht mehr ritt. Es war viel zu weit für unser schmächtiges Bürschchen, aber irgendwie mußte es angepaßt werden. Die Kappe stopften wir mit ein paar Nummern „Pferd und Reiter“ aus, Stiefel hatten wir von einer reitfreudigen Tante geerbt. Es waren zwar Damenstiefel, innen mit Fell ausgekleidet, aber wir hofften, es würde niemand bemerken. Handschuhe fanden sich auch, ebenso eine Gerte. So gerüstet erwarteten wir den großen Tag.

Es war nicht allzu weit zum Turnierplatz, aber wir hatten noch kein Auto. Christoph fuhr mit dem Transporter des Bauern mit, wir anderen fanden eine mildtätige Seele mit fahrbarem Untersatz.

Als erstes kauften wir ein Programm. Mit fahrigen Händen durchblätterten wir es, einer riß es dem andern weg. Da, da mußte es stehen, unser Jüngster gedruckt. Endlich hatten wir es: Fanny, Besitzer Georg Schrag, Reiter — was stand da? Da stand nicht Christoph Richter, sondern, uns allen unverständlich, Christian Böhm. Aus der Traum von einem Programmheft, das wir ewig im Archiv der Familie aufheben wollten! Wie diese Verwechslung zustande kam, haben wir nie erfahren.

Christoph ritt. Am aufgeregtesten waren meine ältere Tochter und ich. Mir schlotterten die Knie, und ihr schlug das Herz bis zum Hals. Klingelzeichen, rote Fahne herunter, er ritt an. Erstes Hindernis: Fässer. Keiner von uns hatte daran gedacht, daß Fanny alles gern und flüssig springt, nur keine Fässer. Und tatsächlich, sie blieb stehen. Unser Herz auch.

„Weck sie auf!“ knirschte Schorsch, der Besitzer. Christoph ließ Fanny zurücktreten, tief in die Hanken gehen, und noch einmal: „Los!“ Sie galoppierte und sprang. Nicht nur die Fässer, sondern ein Hindernis nach dem anderen, sauber und ruhig.



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