Smalltalk: Die Kunst des stilvollen Mitredens (German Edition) by Schönburg Alexander von
Autor:Schönburg, Alexander von [Schönburg, Alexander von]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644118317
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-12-18T23:00:00+00:00
Jagd
E
in Steinzeitmensch, der ständig an seinem Faustkeil-Smartphone rumgefummelt hätte, wäre damals, in der guten alten Zeit des Pleistozäns, schief angesehen worden. Die Leute waren damals kommunikativer als heute. Und das, obwohl es eigentlich nur ein einziges Smalltalk-Thema gab: die Jagd. Sie war die erste Beschäftigung, der erste Beruf des Menschen. Man saà nach Feierabend in der Höhle beisammen, das Feuer flackerte, und während man noch an den letzten Bärenknochen nagte, erzählte man sich von seinen Jagderlebnissen. Heute ist das anders. Die letzten verbliebenen Karnivoren können allenfalls noch beantworten, welches Biosiegel die Plastikverpackung trägt, die sie aus dem Kühlregal nehmen. Der Rest kaut Seitan-Wurst und runzelt die Stirn über die Naturferne des modernen Menschen. Heute über die Jagd zu sprechen, verlangt Mut. Das Thema eignet sich eigentlich nur noch, um seine Gesprächspartner zu provozieren.
Ich weiÃ, wovon ich rede. Man Vater war mehr als nur ein leidenschaftlicher Jäger. Sein Leben bestand aus der Jagd. Die Hochzeitsreise meiner Eltern ging nicht in irgendein exotisches Luxushotel, sondern auf eine Jagdhütte in Tirol. Dort verbrachten sie die Nächte zu dritt, gemeinsam mit dem für das Revier zuständigen Förster. Mein Vater schaffte es seltsamerweise dennoch, vier Kinder zu zeugen, auch wenn er sich wahrscheinlich ebenso über Jagdhunde gefreut hätte. Meine Geschwister und ich reagierten auf die unser Leben beherrschende Jagd zumeist mit dezidiertem Desinteresse. Ich wurde sogar zum Jagdgegner. Nicht aus ideologischen oder ödipalen Gründen, sondern weil ich in meiner Kindheit schlicht eine Ãberdosis Wald genossen hatte. Während meine Klassenkameraden wegen des angeblich unmittelbar bevorstehenden Waldsterbens Tränen in den Augen hatten und über sauren Regen jammerten, verwendete ich einen GroÃteil meiner Energie darauf, dem Wald zu entkommen. Wenn ich aber Zeit mit meinem Vater verbringen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn auf die Pirsch oder auf den Hochstand zu begleiten. Dort durfte ich keinen Mucks machen, auch Atmen war untersagt. Von meinem Vater habe ich hauptsächlich gelernt, mich wie ein Tier zu verhalten (zumindest im Wald). Anschleichen, ducken, Geräusche vermeiden, der Natur anpassen. Mein Vater schien seine ganze Umgebung aus der Perspektive des Tieres zu betrachten â genau das machte ihn wohl zu einem so guten Jäger und mich zu einem experten Jagdverächter.
Die Jagd eignet sich insofern perfekt als würziges Smalltalk-Thema, als dass man damit alle Anwesenden gegen sich aufbringen kann, Jäger und Jagdgegner gleichermaÃen. Den meisten Menschen, die heutzutage auf die Jagd gehen, Zahnärzte, Rechtsanwälte und Vorstandsmitglieder von DAX-Konzernen, ist Golf schlicht zu gewöhnlich geworden, sie sehen Natur in der Regel als etwas Käufliches oder Konsumierbares, müssen also eigentlich den Kulturmenschen und Naturverächtern zugerechnet werden. Die Leute wiederum, die Jagd ablehnen, bezeichnen sich gern als naturverbunden und sehen unwissentlich â oder wissentlich? â darüber hinweg, dass es schlicht nichts Naturnäheres gibt als die Jagd. In seinem berühmten Essay «Ãber die Jagd» bezeichnete José Ortega y Gasset diese als «Ferien vom Menschsein». Damit ist eigentlich alles gesagt. Der Städter, der sich aus der «urväterlichen Nachbarschaft» mit Tieren, Pflanzen und Gestein entfernt hat, kann eigentlich nur durch die Jagd wahrhaft zur Natur zurückkehren. Dazu genügt
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