Schwarz, Stefan by wird ein bisschen wehtun Das

Schwarz, Stefan by wird ein bisschen wehtun Das

Autor:wird ein bisschen wehtun Das
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-04-29T10:15:05+00:00


Wenn man mich zu dieser Zeit gefragt hätte, ob ich meine Abende lieber mit Naddi oder lieber mit Vati verbringe, hätte ich vielleicht Naddi den Vorzug gegeben.

«Alarm!», rief Vater eines Abends plötzlich mitten in die Tagesthemen hinein. «Ich muss!» Ich begriff nicht sofort. Vater streckte die Arme aus dem Sessel wie ein Hosenmatz. «Los, raboti, raboti! Die Norm ist in Gefahr!» Ich zerrte ihn hoch. «Schneller, Junge, schneller. Das geht zu langsam. Soll ich mir in die Hosen machen?» Wir tippelten durch den Flur wie die Wahnsinnigen und schafften es gerade noch rechtzeitig.

«Es ist vertrackt», sagte Vater, als ich ihm wieder die Hose hochzog, «früher, als ich noch richtig gehen konnte, musste ich so gut wie nie. Jetzt, wo ich dauernd muss, kann ich nicht mehr gehen. Es ist ein Elend, Junge.»

Vor einem halben Jahrhundert, so erzählte Vater fröhlich und entleert weiter, hatte er dreimal hintereinander den «Bierbeitel» gewonnen. Bei diesem etwas kranken Wettstreit ging es darum, so viel Runden Bier wie möglich zu trinken, ohne austreten zu gehen. Wer als Letzter zum Pinkeln rannte, hatte gewonnen. Das ging an die Nieren. In den fortgeschrittenen Runden gab es keine echten Gespräche mehr, weil böse Konsonanten wie p oder b die Blasen zum Platzen bringen konnten. Aber das war lange vor meiner Zeit. Das Heldenleben der Väter findet ja fast immer vor der Geburt der Söhne statt.

Ich registrierte mit einer leichten Irritation, dass mir das Geschichtchen nicht mehr so launig einging, wie mir die Geschichten aus Vaters Leben früher eingegangen waren. Ich hatte begonnen, seinem Leben die Schuld an seinem Alter, zumindest an seinem Zustand zu geben. Irgendwas musste ja schuld sein. Denn jetzt war Vater krank. Ich konnte gar nicht sagen, seit wann. Möglicherweise hatte es begonnen, als meine Eltern vor zwanzig Jahren vom Gutshaus in Pründen in die Vorstadt gezogen waren, wo er nicht mehr der «Direktor», sondern nur «der alte Herr Krenke» war. Da begann er langsamer zu gehen, immer langsamer, und irgendwann war sein Gehen für seine nervöser werdende Blase zu langsam geworden.

«Vater», sagte ich, nachdem ich ihn wieder in seinem Fernsehsessel versenkt hatte, «ich will ja nichts sagen, aber mit Mutter wärst du jetzt nicht rechtzeitig zum Abschlag gekommen. Hast du schon mal darüber nachgedacht, das Gehen zu lassen und auf einen Rollstuhl zu wechseln?»

Vater sagte nichts, sondern guckte besonders aufmerksam auf den Bildschirm. Das Kinn leicht erhoben, das Kinn mit den grauen Stoppeln im Grübchen, die er von Jahr zu Jahr weniger gut ausrasiert bekam. Mutter äugte über ihre Fernsehbrille zu mir und schüttelte leicht den Kopf. Lass es, Sohn, lass es.

«Es würde vieles einfacher machen. Was ist so schlimm dabei, mit dem Rollstuhl zu fahren …?»

Der Wetterbericht kam. Vater nahm die Fernbedienung und schaltete lauter. Landwirte haben es ja alle mit dem Wetter.

«Sonne satt, Sonne satt», äffte er den Wettermann nach, «es hat schon vier Wochen keinen ordentlichen Regen gehabt. Das wird keine Kartoffelernte, das sag ich dir, Mutter, eine Katastrophe wird das. Solche Murmeln, maximal.»

Ich räusperte meine Unsichtbarkeit beiseite und legte noch mal nach.



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