Schuld und Schulden (B00F4IEW48) by Constantin Goschler

Schuld und Schulden (B00F4IEW48) by Constantin Goschler

Autor:Constantin Goschler [Goschler, Constantin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Wallstein Verlag
veröffentlicht: 2013-09-11T04:00:00+00:00


Das Bundesentschädigungs-Schlussgesetz:

Vom Konkurs zum Vergleich?

Die SPD, die kontinuierlich den Vorsitzenden des Wiedergutmachungsausschusses des Bundestages stellte, nutzte dieses Gremium, um bereits seit den späten fünfziger Jahren eine erneute Novellierung und Ausweitung des BEG zu fördern. Allerdings bremste für einige Zeit der schnelle Wechsel der Ausschussvorsitzenden den Elan: Nachdem Greve 1958 aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Verquickung von Mandat und Anwaltstätigkeit zurückgetreten war, teilte 1960 auch sein Nachfolger, Alfred Frenzel, dieses Schicksal: Der gelernte Glasschmelzer wurde der Spionage für die Tschechoslowakei überführt. Für den Rest der Legislaturperiode übernahm schließlich der Jurist Gerhard Jahn dieses Amt.

Während sich die SPD neben manchen Forderungen der Claims Conference vor allem auch Nachbesserungswünsche der deutschen politischen Verfolgten zu eigen machte, wünschten Teile der CDU/CSU-Fraktion bereits Ende der fünfziger Jahre die Entschädigung der im »Dritten Reich« Zwangssterilisierten. Das Bundesfinanzministerium und die Bundesregierung lehnten dies freilich kategorisch ab, da es sich – außer in solchen Fällen, in denen ausdrücklich eine rassische Verfolgung zugrunde gelegen habe – um keine spezifisch nationalsozialistische Maßnahme gehandelt habe. Die Kontroverse kulminierte 1961 in ausführlichen Beratungen im Wiedergutmachungsausschuss, zu denen auch eine Anzahl von Experten herangezogen wurden. Auch dort stand die Frage im Mittelpunkt, inwieweit es sich um eigentliches NS-Unrecht gehandelt habe. Die Professoren Hans Nachtsheim, Werner Villinger und Helmut Ehrhardt, die im »Dritten Reich« allesamt aktiv in die eugenische Praxis eingebunden gewesen waren, unterstützten die von der Bundesregierung vertretene Ablehnung einer Entschädigung für Opfer der Zwangssterilisation. Dabei insistierten sie zugleich auf dem nichtnationalsozialistischen Charakter des Erbgesundheitsgesetzes, das auch im »Dritten Reich« weit überwiegend verantwortungsvoll umgesetzt worden sei. Villinger, der selbst als Beisitzer in zwei Erbobergerichten die damalige Gesetzespraxis mitgestaltet hatte, erläuterte vor dem Ausschuss: »Es sind die erdenklichsten Anstrengungen gemacht worden […] mit diesen Kranken und Abartigen selber und mit ihren Angehörigen zu sprechen, so eingehend zu sprechen, daß auch sämtliche Familienmitglieder alles vorbringen konnten, was sie auf dem Herzen hatten.« So sei bei der Umsetzung des Erbgesundheitsgesetzes »doch alles Rechtens zugegangen […], soweit man das übersehen konnte«. Zudem seien bei den Betroffenen niemals irgendwelche Klagen oder Beeinträchtigungen durch den Eingriff entstanden. Von einer Entschädigung dieser Menschen riet er deshalb ausdrücklich ab, da man dadurch Gefahr laufe, »dass eine Neurotisierung dieser Sterilisierten stattfindet«79. So wurde die Wiedergutmachung schließlich nicht zur Antwort, sondern zur eigentlichen Quelle der Schädigung, und Villinger rief schließlich gar zur Vorsicht auf, »besonders wenn man sieht, wie Entschädigungsneurosen in einem fast unheimlichen Maß zugenommen haben und um sich greifen«80. Demgegenüber zeigten sich die medizinischen Experten skeptisch gegenüber solchen vor dem Bundestagsausschuss unternommenen Versuchen, die Praxis des Erbgesundheitsgesetzes im »Dritten Reich« im Nachhinein zu bagatellisieren.81

In einer weiteren Besprechung im Bundesfinanzministerium wurde 1962 der Rat zusätzlicher Experten eingeholt, darunter auch Pastor von Bodelschwingh, der Leiter der gleichnamigen Anstalten in Bethel. Auch er lehnte die Entschädigung von Zwangssterilisierten ab:

»Gäbe man den Sterilisierten selbst einen Entschädigungsanspruch, so werde nur Unruhe und neues schweres Leid über diese Menschen gebracht, die diese Dinge nicht übersehen könnten und in denen sich nunmehr – krankheitsbedingt – die Vorstellung festsetze, sie müßten auf jeden Fall entschädigt werden. […] Moraltheoretisch gesehen handele es sich bei der Sterilisation um ein gefährliches Grenzgebiet.



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