Schneeriese by Susan Kreller

Schneeriese by Susan Kreller

Autor:Susan Kreller [Kreller, Susan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2015-06-27T16:00:00+00:00


KAPITEL

13

Kommt rein, sagte Adrians Mutter.

Ihr seid ja ganz durchgefroren.

Na los, ihr holt euch noch den Tod.

Die Durchgefrorenen rutschten jetzt Schritt für Schritt ins Haus und bestanden aus den väterlichen Großeltern, die zu fünfzig Prozent nach Eukalyptus rochen, aus der mütterlichen Großmutter, die keinen Mann mehr hatte, dafür aber lächerlich viele Schneeflocken auf dem Hut, und schließlich noch aus Adrians Tante, die die Schwester seiner Mutter und keinen Zentimeter zu groß war.

Seit Adrian denken konnte, bildete diese wackelige Gemeinschaft den Weihnachtsbesuch, und normalerweise verschwanden Adrian und sein Vater jedes Jahr kurz nach der Begrüßung in der Küche, um minutenlang die Augen zu verdrehen.

Anders hätten sie die weihnachtlichen Familiengäste auf gar keinen Fall ausgehalten: den Rosinenstollen, der so trocken war wie die Hüftgelenkgespräche der Großeltern, die lang gezogene Zeit, in der der gläubige Teil der Familie in der Kirche war, und die genauso unendliche Zeit, bis der gesamte Besuch schließlich wieder verschwunden war.

Diesmal verdrehte Adrian nicht ein einziges Auge und machte auch keine Anstalten, die unkönigliche Begrüßungszeremonie vorzeitig zu verlassen, so wie er es sonst immer getan hatte. Mit sonst immer hatte er sowieso nichts mehr zu tun. Wie ein Roboter nahm Adrian die Begrüßungshände entgegen: die harte, rissige Hand des väterlichen Großvaters und die schwache Hand von dessen Frau, die eingecremte Hand der anderen Großmutter und schließlich noch die fischige Hand seiner Tante.

Danach stand er noch viel zu lange da, die eigenen Hände in den Hosentaschen vergraben, und fühlte: nichts. Später, im Wohnzimmer, saß er auf dem Sofa, geschützt nur durch die Barrikade der Fernsehzeitschrift, in der er blicklos blätterte, während er die staubigen Stimmen der Großeltern geschehen ließ, die wie Honig dahintropfende Zeit, den Geruch von Kaffee und Altsein und Tante und irgendwann auch den weihnachtlichen Ruf der Mutter, dass alle zum Tisch kommen sollen.

Sie hatte schon vor einer Woche angefangen, wieder mit Adrian zu reden, mehr als das Nötigste, sogar vier, fünf Sätze pro Tag, eine großzügig bemessene Ration. Vor allem, wenn man bedachte, dass Adrian immer nur mit einzelnen Wörtern antwortete, kleinen Worttröpfchen, die verdampften, noch während Adrian sie hergab.

Wahrscheinlich hatte seine Mutter nur für diesen einen Weihnachtstag trainiert, damit bloß keinem das häusliche Schweigen auffiel, damit sie ohne Stottern sagen konnte, Adrian, reichst du mir den Zucker, damit sie sagen konnte, Adrian, jetzt hilf doch der Oma mal. Sie hatte wahrscheinlich erst wieder lernen müssen, wie das geht: mit dem eigenen Sohn reden. Sie hatte den Rost abgeklopft von den lange nicht benutzten Mutterworten, und jeden Tag konnte er spüren, wie sie ihn ein paar Sekunden am Stück einfach nur ansah.

Auch wenn das keine Rolle spielte.

Auch wenn nichts mehr eine Rolle spielte für Adrian.

Und als er zwischen zwei Stollenbissen die Stimme seiner Tante hörte, dachte er noch, dass ihn das sowieso nichts mehr anging, ganz gleich, was irgendwelche Parfümtanten zu fragen hatten. Und sie fragte ja auch nicht ihn, sondern sah ihn nur an und richtete ihre Worte an die Runde:

Also?, fragte sie mit einem kleinen, hämischen Augenleuchten.

Wie ist das jetzt? Hat er schon eine Freundin?

Und alles



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