Schauen sie sich mal diese Sauerei an by Jörg Nießen

Schauen sie sich mal diese Sauerei an by Jörg Nießen

Autor:Jörg Nießen
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3896029911
Herausgeber: Schwarzkopf & Schwarzkopf
veröffentlicht: 2010-09-15T04:00:00+00:00


11. Von Pilzen, Fröschen und anderen Dingen

Keine Macht den Drogen

Irrend lernt man.

Johann Wolfgang von Goethe

Es war im Wonnemonat Mai, als uns ein Notruf in ein kleines Hotel am äußersten Stadtrand beorderte. Die Anfahrt zur Einsatzstelle würde mindestens acht bis zehn Minuten in Anspruch nehmen, aber Hein und ich genossen die Fahrt. Es war Sonntagnachmittag, kaum Verkehr auf der Straße, ein laues Lüftchen blies durch das heruntergekurbelte Fenster, hier und da standen Kühe auf der Weide, und auf Wiesen und Feldern spross die Saat. Wäre nicht ein Notruf Grund für unsere Unternehmung gewesen, man hätte es für einen Frühlingsausflug halten können.

Unser Einsatzort war in einem Stadtteil mit dörflichem Charakter, der infrastrukturell in der Vergangenheit eher vernachlässigt worden war. So richtig wollte die Ansammlung von circa 250 Häusern nicht zum Rest der Stadt passen. Die Straßen waren in schlechtem Zustand, und ein marodes Hallenbad wurde nicht saniert, sondern ersatzlos abgerissen. Außer einer Bäckerei und einem Eisenwarenhandel hatte kein Geschäft des täglichen Bedarfs die Landflucht überlebt. Wirtschaftlicher

Leuchtturm war das Hotel Kupferkessel, das früher mal als Privatbrauerei betrieben worden war. Jeder, der einmal dort übernachtet hat, fragt sich, wie dieses Relikt der Gastlichkeit bis heute bestehen konnte. Persönlich frage ich mich auch, wer überhaupt dort übernachtet. Bewohner des Dorfes werden sich kaum hundert Meter weiter ins Hotel legen, Geschäftskunden möchte ich ausschließen, und Firmen, die Monteure unterbringen müssen, sind gleichfalls nicht vorhanden. Wie dem auch sei: Diese volkswirtschaftliche Totgeburt eines Hotels war unsere Einsatzstelle.

Wir betraten den Eingangsbereich; hinter dem Empfangstresen erwartete uns der Inhaber persönlich. Ein Kerl wie ein Baum, der einen Großteil seiner Haarpracht bereits verloren hatte und dessen Gesicht von einer dicken roten großporigen Nase dominiert wurde. »Lempel mein Name. Bitte folgen Sie mir, wir haben da einen ungelösten Sachverhalt mit einem unserer Gäste«, nuschelte Herr Lempel, um Diskretion bemüht.

»Sag mal, Hein, meine ich das nur, oder hat der Kerl gesoffen?«, raunte ich Hein fragend zu.

»Wer Sorgen hat, hat auch Likör!«, flüsterte dieser vielsagend ein Zitat von Wilhelm Busch in mein Ohr, während wir Herrn Lempel folgten. Kurze Zeit später standen wir vor Zimmer 61.

»Ne Primzahl!«, erklärte ich spontan und ohne jeden Zusammenhang.

»Da drin!«, beschied uns der Hotelinhaber knapp, schloss die Tür auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Flur. Für einen Moment schauten wir ihm verdutzt hinterher, um dann unsere Blicke durch das Zimmer schweifen zu lassen.

Es war ein kleiner Raum, maximal 15 Quadratmeter. Das Bett ragte halb in unser Sichtfeld, und behaarte Beine kämpften strampelnd mit einem dünnen weißen Laken. Das Zimmer selbst war trist, aber funktional eingerichtet: Tisch, Stuhl, Bett, Schrank, fertig war das Himmelreich. Das Fenster war mit einer von Nikotin vergilbten Gardine geschmückt, und in einer Ecke lag eine gefaltete Rosshaardecke mit der Aufschrift »Eigentum der NVA«. Unser Patient lag anscheinend schlafend auf dem Bett, wälzte sich aber wild von rechts nach links und wieder zurück. Unverständliche Wortfetzen und verschiedenartiges Stöhnen untermalten die Szenerie.

»Dann wollen wir mal!«, sagte Hein und rüttelte unseren Patienten mit den Worten »Tach auch, Rettungsdienst!« unsanft an den Schultern. Wie aus schlechten



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