Saussure et l’épistémè structuraliste. Saussure und die strukturalistische Episteme by Ludwig Jäger Andreas Kablitz

Saussure et l’épistémè structuraliste. Saussure und die strukturalistische Episteme by Ludwig Jäger Andreas Kablitz

Autor:Ludwig Jäger, Andreas Kablitz
Die sprache: fra
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2022-12-29T13:34:30.381000+00:00


Selbstreferenz und Gestaltungspotential poetischer Rede

Anmerkungen zur strukturalistischen Definition von Dichtung (exemplifiziert an Joseph von Eichendorffs Im Abendrot und Johann Wolfgang von Goethes Wandrers Nachtlied I und II)

Andreas Kablitz

Karlheinz Stierle zum 85. Geburtstag

1

Autoreferentialität

Roman Jakobsons Definition einer poetischen Funktion stellt das vermutlich erfolgreichste Modell einer strukturalistischen Bestimmung des Poetischen auf dem Boden der Sprachtheorie des Cours de linguistique générale dar. Formuliert hat er sein Konzept einer poetic function in seinem berühmt gewordenen, ja epochemachenden Artikel Linguistics and Poetics aus dem Jahr 1960.1 Als konstitutives Moment aller poetischen Rede benennt Jakobson in dieser Studie bekanntlich das Phänomen sprachlicher Selbstreferenz: Dichtung ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Rede sich auf sich selbst bezieht. Kaum ein zweiter literaturwissenschaftlicher Begriff dürfte in den vergangenen Jahrzehnten so häufig zitiert und benutzt worden sein wie dieser.

Seine Erfolgsgeschichte ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass auch der Poststrukturalismus zur Konjunktur der Vorstellung von einer poetischen Selbstreferenz nachhaltig beigetragen, ja die Prominenz dieses Konzepts noch einmal beträchtlich erhöht hat. Die mit der Dekonstruktion verbundene Steigerung seiner Geltung hat ihren Grund vermutlich in einer allgemeinen Aufwertung des Belangs der Selbstbezüglichkeit schon für die Theorie der Sprache im Allgemeinen. Denn die poststrukturale Konzeption der Sprache weist generell eine bemerkenswerte Affinität mit der strukturalistischen Definition poetischer Rede auf. Für jegliches Sprechen weist eine dekonstruktive Sicht der Selbstreferenz eine maßgebliche, ja zentrale Rolle zu. In diesem Sinn bestreitet Jacques Derrida der Sprache in letzter Konsequenz jegliche Möglichkeit einer Bezugnahme auf eine außerhalb ihrer selbst liegende Wirklichkeit, da sie sich allein in innersprachlichen Verweisstrukturen bewege - und folglich verfange.2

Wiewohl er in der Linguistik entstanden ist, hat sich auch die Wissenschaft von der Literatur den Begriff der Autoreferentialität längst zu eigen gemacht und benutzt ihn, wie erwähnt, allenthalben, um nicht zu sagen: inflationär. Seine Erfolgsgeschichte in diesem Fach lässt sich allerdings vielleicht nicht ohne den Hinweis auf einen Aspekt nachvollziehen, den ich in diesem Artikel nur kurz andeuten, jedoch nicht im Einzelnen verfolgen kann. Sie hat ihre Wurzeln aller Wahrscheinlichkeit nach auch darin, dass das Postulat poetischer Selbstbezüglichkeit als semiotische Explikation einer ästhetiktheoretischen Kategorie in Erscheinung tritt, die zu den Begründungsfiguren der philosophischen Ästhetik zählt. Ich meine Kants in der Kritik der Urteilskraft erfolgende Bestimmung des ästhetischen Urteils als eines Reflexionsurteils.3

Die Beurteilung eines Phänomens als ‘schön’ macht letztlich keine Aussagen über diesen Gegenstand selbst, sondern über die Modalitäten seiner intellektuellen Wahrnehmung. Und das dabei empfundene Wohlgefallen bezieht Kant auf das „Vermögen der Begriffe“, also letztlich auf die im Schönen zutage tretende Befähigung zur begrifflichen Erkenntnis der Natur, die auf diese Weise als solche erlebt und erlebbar wird.

Dieses reflexive Moment des Geschmacksurteils besitzt eine Parallele zu Jakobsons Bestimmung einer poetischen Funktion darin, dass auch sie nicht der Bezeichnung eines bestimmten Sachverhaltes dient, sondern die Aufmerksamkeit auf das Medium lenkt, mit dem gemeinhin eine Bezeichnung von außersprachlichen Tatsachen erfolgt. Auch das poetische Zeichen bezieht sich insofern nicht auf ein bestimmtes Phänomen, das es namhaft machte (so wie auch das Geschmacksurteil ohne Begriff auskommt), sondern auf das Medium, das üblicherweise zur Bezeichnung von etwas Bestimmtem eingesetzt wird.4

Indessen scheint jenseits dieser



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