Salondamen und Frauenzimmer by Elke-Vera Kotowski

Salondamen und Frauenzimmer by Elke-Vera Kotowski

Autor:Elke-Vera Kotowski
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2016-03-15T00:00:00+00:00


Abb. 8: Valeska Gerts Tanz in orange um 1915/16 [Archiv Frank-Manuel Peter]

Auf Empfehlung von Maria Moissi und Arthur Kahane, Dramaturg am Deutschen Theater Berlin, erhielt Valeska Gert 1916 „als jugendliche Charakterspielerin“ ein Engagement bei Otto Falckenberg an den Münchener Kammerspielen. Doch wurde sie dort zunächst nur in Nebenrollen besetzt. Sie tat sich zunächst schwer und konnte kaum mit Kritik umgehen. Ihre erste Sprechrolle hatte sie als Freiin von Totleben in Frank Wedekinds Marquis von Keith. Der Autor führte selbst Regie und beschimpfte sie während der Proben, da sie zu leise sprach. Es folgten Rollen als Kupplerin in Wedekinds König Niccolo und in der Inszenierung von Falckenberg spielte sie 1917 das Kätchen in Shakespeares Wie es euch gefällt, das ihr schließlich zum Durchbruch als Schauspielerin verhalf.

Es waren Alltagsszenen, die Valeska Gert inspirierten und die sie in Tanz umsetzte. „Ich wollte nicht diese vagen Bewegungen tanzen, die nichts mit mir und meiner Zeit zu tun haben“, schreibt sie rückblickend in ihrer Autobiografie. „Ich wollte Menschen darstellen und die vielen bunten Gesten und Bewegungen des täglichen Lebens.“258

In der Widerspiegelung des täglichen Lebens tanzte Valeska Gert Alltagszenen aus der Großstadt: Hektik, Verkehr, Menschenmassen: „Auf den Straßen schieben sich die Menschen vorwärts, Wagen fahren und stoßen zusammen, der Verkehrsschutzmann streckt seinen Arm aus, der Verkehr stockt. Ich mache eine Tanz daraus, den ich ‚Verkehr‘ nannte.“259

Valeska Gert war zweifellos eine Avantgardistin des modernen Tanzes. Sie hatte stets ein besonderes Gespür für den Zeitgeist und umgab sich mit Künstlern, die ebenso auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen waren. In ihren Lebenserinnerungen von 1968 beschreibt sie eine Szene während einer Veranstaltung der Berliner Dadaisten im Jahr 1919:

Der Höhepunkt des Programms war ein Wettrennen zwischen einer Nähmaschine und einer Schreibmaschine. An der Schreibmaschine saß George Grosz [, an der Nähmaschine Walter Mehring; Anm. EVK]. Kaum im Saal entdeckt, schleifte man mich auch schon auf die Bühne, und ich tanzte zu den Geräuschen der beiden Geräte, eine Tüte aus Zeitungspapier mit zwei Pfund Spargel im Arm. Ich hatte ihn gerade auf dem Wochenmarkt gekauft.260

Mit einem kleinen Seitenhieb auf die Achtundsechziger-Bewegung bemerkt sie, dass deren Happenings nicht neu waren, sondern bereits 50 Jahre zuvor Anwendung fanden.

Der Bruch mit der Tradition sollte auch im Tanz zum Ausdruck kommen. Aber war das Publikum schon reif für jeglichen Tabubruch?

„Das Unerhörte im Tanz, das will […] ich. Aber was ist das? Das Unerhörteste ist Geburt, Liebe und Tod. Niemand hat bisher gewagt, es wahr und ungeschminkt darzustellen. Ich will es tun.“261 Und sie tat es, sie tanzte den Lebensanfang (in der Formation Baby), das Lebensende (Tod) und die Liebe, hier allerdings die käufliche. Ihre Tänze waren Ausdruck des Unmittelbaren, ungeschönt in Leid und Freud. Und es schwang stets eine sozialkritische Komponente mit. So auch in ihren Tänzen Canaille und Kupplerin, in denen sie das Thema Prostitution erstmals in derartiger Form auf die Bühne brachte. Damit rückte sie die am Rand der Gesellschaft stehenden, hier eine junge Frau, die in Ermangelung anderer Erwerbsmöglichkeiten ihren Körper feilbot, sowie eine in die Jahre gekommene Prostituierte, die nun als



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