Rieslingsommer (German Edition) by Wanner Heike

Autor:Wanner, Heike [Wanner, Heike]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2019-11-11T16:00:00+00:00

20

»Ich bin dann mal weg!«, rief Bianca gut eine Woche später ins Esszimmer hinein. Eilige Schritte waren zu hören, dann raschelte es im Treppenhaus und die Tür schnappte zu.

Luisa hielt es nicht für nötig, darauf zu reagieren.

Seit dem Streit ignorierte sie so gut wie alles, was ihre Schwester sagte oder tat. Auch jetzt kratzte sie lieber die letzten Reste ihres Schokoladenpuddings zusammen, als Biancas Abgang in irgendeiner Weise zu kommentieren.

Was hätte sie auch sagen sollen?

Sie wünschte ihrer Schwester weder Spaß noch Erfolg bei ihrem Kurs an der Volkshochschule. Genau genommen war es ihr egal, was Bianca dort trieb. Luisa hoffte nur, dass ihre Schwester so spät nach Hause kommen würde, dass sie selbst dann schon im Bett lag und diesen Mittwoch, ihren freien Tag, entspannt beenden konnte.

Aber eigentlich bestand sowieso keine Gefahr, dass Bianca plötzlich in ihrem Schlafzimmer auftauchen und mit ihr sprechen wollte.

Denn die Nichtbeachtung beruhte auf Gegenseitigkeit.

Auch Bianca hatte seit dem Streit kein einziges Wort an sie gerichtet. Bei den wenigen gemeinsamen Mahlzeiten saßen beide mürrisch am Tisch und antworteten nur, wenn es unbedingt sein musste. Ansonsten gingen sie sich aus dem Weg, was dank Luisas häufiger Abwesenheit bislang nicht besonders schwierig gewesen war.

»Weg ist sie.«

Marlies seufzte und schob ihren Dessertteller unberührt zur Seite. Sie litt am meisten unter dieser Situation, das wusste Luisa. Mühsam unterdrückte sie den üblichen Anflug von schlechtem Gewissen. Nein! Nicht einmal aus Rücksicht auf ihre Mutter würde sie bei diesem Streit klein beigeben! Dazu hatten sie Biancas Vorwürfe viel zu sehr getroffen.

»Wo ist eigentlich Amelie schon wieder?«, fragte Oma Lisbeth. »Ich bekomme sie kaum noch zu Gesicht, dabei müsste ich dringend ein paar goldene Armreifen bestellen.«

»Sie trifft sich mit Freunden«, entgegnete Luisa.

»Jeden Abend?«

»Na ja, das Wetter ist doch so schön, und anscheinend hat sie hier in Rüdesheim endlich Anschluss gefunden.«

»Wen denn?«

»Das hat sie nicht gesagt.«

Aber Amelie hatte sehr fröhlich ausgesehen, als sie davon erzählt hatte. Sie würde in nächster Zeit öfter abends unterwegs sein, hatte sie noch hinzugefügt. Luisa hatte das als gutes Zeichen gewertet und auf weitere Fragen verzichtet. Vorerst zumindest.

»Ich vermisse sie.« Oma Lisbeth schaute betrübt in die kleine Runde, dann jedoch hellte sich ihr Blick auf. »Kann ich deinen Pudding haben?«, fragte sie Marlies.

»Von mir aus.«

Ihre Mutter war wirklich nicht bei der Sache, stellte Luisa fest. Sonst war sie doch immer so fürsorglich und besorgt. Aber heute hatte sie sich weder zu Amelies Fehlen geäußert noch Oma Lisbeth die zweite Portion Pudding verboten.

Und natürlich nutzte die alte Dame das gnadenlos aus.

Rasch tauschte sie ihren leeren Teller gegen den vollen und verspeiste genüsslich die zweite Portion Nachtisch. Dabei zwinkerte sie Luisa gut gelaunt zu.

Luisa lächelte zurück.

Wenigstens eine ließ sich ihre Stimmung nicht verderben!

»Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang?«, fragte sie Marlies. »Die frische Luft würde dir guttun.«

»Ich war heute doch schon den ganzen Tag draußen. Außerdem bin ich müde und möchte früh ins Bett.«

»Wo ist Jörn?«, wollte Oma Lisbeth wissen. »Den habe ich auch schon ewig nicht mehr gesehen. Warum verschwinden plötzlich alle?«

»Er ist nicht verschwunden, er ist nur mit seinen Schafen weitergezogen und kommt erst irgendwann nach Pfingsten zurück«, entgegnete Luisa.

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