Putins Welt by Gloger Katja
Autor:Gloger, Katja [Gloger, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783827078544
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2015-10-14T04:00:00+00:00
Privilegierte Zone – Russland, die Ukraine und die EU
Auch nach dem Ende der Sowjetunion blieb das Schicksal der Ukraine mit der Frage russischer nationaler Identität verknüpft, den Werten der »großen russischen oder russisch-ukrainischen Welt«,81 wie es Putin formulierte: »Wir sind faktisch ein Volk.«82
Seit Putin nach seiner Rückkehr in den Kreml 2012 einen neuen, zunehmend ethnisch definierten gesellschaftlichen Konsens herzustellen suchte, war die Ukraine als Teil der »russischen Welt« nicht nur außenpolitisch Garant russischer Souveränität in der Welt, sondern auch Instrument russischer Innenpolitik. Vielleicht hoffte Putin so auch, die Hardliner zu befrieden, die schon lange eine »Rückkehr« der Krim in den russischen »spirituellen Raum« forderten.83 Schließlich habe die Krim nie zur Ukraine gehört: Hatte sie doch der damalige sowjetische Parteichef Nikita Chrustschtschow 1954 aus machtpolitischen Erwägungen der Ukraine »geschenkt«, um sich die Unterstützung der mächtigen ukrainischen Parteiführung im Politbüro zu sichern.84 Bei der Entscheidung hatten auch ökonomische Faktoren eine Rolle gespielt. Die Halbinsel sollte an das ukrainische Hinterland angeschlossen werden. Die Infrastruktur wurde fortan aus dem Haushalt der ukrainischen Sowjetrepublik finanziert: Straßen, Stromtrassen, einen Staudamm.85
In Moskau galt die Prämisse des »postimperialen Privilegs«86 auch in Bezug auf die Ukraine: eine privilegierte Einflusszone in den postsowjetischen Staaten, die sich institutionell noch nicht fest dem Westen versprochen hatten. Zwar war man sich in Moskau darüber im Klaren, dass der Westen diese russischen Bedingungen für eine strategische Partnerschaft nicht akzeptieren würde. Allerdings schienen die USA und Europa nach 2008 zunehmend schwächer: Finanzkrise, Eurokrise, Euroskeptiker, die Kriege im Irak und in Afghanistan. Neue Mächte stiegen zu globalen Playern auf: China vor allem, aber auch Indien und Brasilien. Es bildeten sich neue, fragile Gleichgewichte der Macht jenseits des Westens.
Die »Eurasische Wirtschaftsunion« soll Fundament der machtvollen russischen Stellung in dieser für Russland gar nicht so ungefährlichen multipolaren Welt87 werden.88 Seit 1994 existierte ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit den ehemaligen Sowjetrepubliken Mittelasiens, Absatzmarkt auch für russische Waren, die auf dem Weltmarkt kaum konkurrenzfähig waren. Doch was anfangs eher einem Gentlemen’s Agreement zwischen autoritären Präsidenten glich, bekam 2009 mit der von Putin überraschend initiierten Eurasischen Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan und der schließlich im April 2014 ratifizierten Eurasischen Wirtschaftsunion eine geopolitische Stoßrichtung:89 Eine Wirtschaftsunion als Alternative zur EU – aber auch zu China, das mit Milliardeninvestitionen in Mittelasien zum Konkurrenten Russlands in der Region wird. Die Eurasische Wirtschaftsunion soll die postsowjetischen Staaten unter strategischer Führung Moskaus (re-)integrieren: Russland, Belarus, Kasachstan, Armenien, Kirgistan. Aber immer noch fehlte der größte Preis, 45 Millionen Menschen: die Ukraine. Sie war nicht Mitglied der Zollunion, hatte über bilaterale Freihandelsabkommen zollfreien Zugang zu den Märkten in Russland, Belarus und Kasachstan.
Nur mit fester Anbindung der Ukraine würde Putin das eigentliche, politische Ziel der Eurasischen Wirtschaftsunion erreichen: ein Gegengewicht zur EU und ihrem Projekt der »Östlichen Partnerschaft«. 2009 ins Leben gerufen, sollten die sechs postsowjetischen Staaten in Osteuropa und im Kaukasus über ambitionierte Assoziierungsabkommen ökonomisch an die EU angebunden, aber auch zu politischen Reformen ermutigt werden. Erklärtes Ziel: »die Länder im Osten Europas auf der Basis gemeinsamer Werte auf ihrem Weg zu demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften zu unterstützen«.90
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