Morphin by Twardoch Szczepan

Morphin by Twardoch Szczepan

Autor:Twardoch, Szczepan [Twardoch, Szczepan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-644-11701-3
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-01-15T00:00:00+00:00


Kapitel neun

E

s klingelt. Der Wecker. Dunkel. Was?

Zum Erlöserplatz. Zum Ingenieur.

Aus dem Bett. Das Bad. Licht? Funktioniert. Wasser? Läuft. Warmes? Ja. Rasieren: Heißes Wasser, Öl, Schaum, Klinge, Schaum, Klinge, kaltes Wasser danach, Alaun auf den Schnitt unter der Nase, ekliger Schnitt unter der Nase. Morgentoilette komplett. Zahnpulver? Ist da. Bürste. Brillantine? Nein. Bürste. Haare glätten. Im Spiegel – Hass.

Die Küche. Essen – keines da. Uhr? Schon Zeit.

Anziehen. Mantel.

Nicht denken. Tür abschließen. Treppe. Runter.

Draußen Polizeistunde. Tageslicht – fehlt.

Zu Fuß. Straßen und Plätze. Laternen – keine.

Und bevor du die Wohnung der Łubieńska erreichst, kneifst du krampfhaft die Augen zu: Die Welt nicht sehen, die Menschen nicht sehen, du reichst deine neue Kennkarte einem patrouillierenden Soldaten, er salutiert höflich und sagt etwas, warnt wohlwollend, doch du hörst nicht, er geht weg, und ich hinter dir her, Kostek, immer hinter dir, sogar dann, wenn du so kaputt und zerdrückt herumläufst wie heute, wenn du schwach, dumm und böse wie heute bist, wenn du nur die Hoffnung im Sinn hast, aber Hoffnung worauf, was hast du überhaupt noch für eine Hoffnung, Kostek, dass irgendwas wieder gut wird, nach allem, was passiert ist?

Du weißt das nicht, mein Lieber, aber bestimmte Dinge sind bereits im Gange.

Eine Dynamik der Ereignisse hat sich entfaltet, die noch niemand kennt, weil sie jetzt zum ersten Mal sich ereignen und die in sie verstrickten Menschen noch nicht wissen, dass sie sich innerhalb einer sehr konkreten Form bewegen, womöglich sind sie der Meinung, sie handelten selbst, handelten, weil sie es so wollen, es so wünschen, weil es so sein müsse. Sie wissen nicht, dass sie von meinen Schwestern gelenkt werden.

Hela, nach einer durchschluchzten Nacht, kocht jetzt gerade Haferflocken für Jureczek, sieht ihren Sohn an und denkt daran, dass sie dich liebt und gleichzeitig hasst, dass sie nicht weiß, wer du bist, unsicher ist sie, schwankt, denn sie kennt deine Schwäche, Hela weiß, dass du nicht stark bist, Hela weiß, dass du wie ein Grashalm im Wind bist, sie weiß das. Also versucht sie, dich als Helden zu sehen, doch in dieses Bild passt der Gendarm nicht, der sie geschlagen hat, und als sie wieder die brennende Spur auf ihrem Gesicht berührt, fällt ihr dein tadelloser Wiener Akzent ein, wenn du Deutsch sprichst. Sie ruft sich in Erinnerung, wie sehr du dich bemüht hast, Pole zu sein. So sehr.

Ach, wenn sie ihrem Vater von all diesen Zweifeln erzählen würde, würde das etwas ändern? Würde ihn das verunsichern in der Idee, die in ihm bereits wurzelt und langsam, aber sicher zu Absicht heranwächst?

Er könnte unsicher werden; aber ich weiß es nicht, das bleibt für mich im Dunkeln, schließlich hat Hela befunden, dass ihre Zweifel nur die ihren bleiben sollten, dass das Geheimnis, das zu wahren sie ihrem Mann versprochen hat, wichtiger ist als ihre innere Ruhe, und deshalb schweigt sie weiter.

Nebenan in der Küche sitzt der alte Peszkowski mit gebrochenem, provisorisch verbundenem Unterkiefer, er streichelt nur ab und zu wortlos das Köpfchen seines Enkels. Und überlegt eugenisch, wie viel von deinem räudigen germanischen Mischlingsblut in Jureczeks Adern fließt, in seinem Jureczek, der kein Wort Deutsch babbelt.



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