Menschsein als Selbst- und Fremdbestimmung by Christina Drobe

Menschsein als Selbst- und Fremdbestimmung by Christina Drobe

Autor:Christina Drobe
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2016-02-15T00:00:00+00:00


4.3Eberhard Jüngel: Der Gott entsprechende Mensch

Eberhard Jüngel (*1934) sieht im Rahmen seiner in verschiedenen Aufsätzen entfalteten evangelischen Anthropologie den Menschen in seiner Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit „durch die Menschwerdung Gottes als das für Gott offene Wesen definiert.“1770 Mit jener Offenheit für Gott geht eine dem Menschen wesentliche Weltoffenheit im Sinne der Offenheit für Gottes gesamte Schöpfung einher, denn „die Universalität des Schöpfers muß den für Gott geöffneten Menschen zu einem sich der Welt und die Welt sich erschließenden Wesen machen.“1771 Seine ihm von Gott her zuteil werdende Bestimmung zur imago dei begründet die für den Menschen unaufhebbaren Grundrelationen seiner Existenz, welche für ihn in Jesus Christus „im Verhältnis größtmöglicher gegenseitiger Begünstigung“1772 vollzogen und dadurch offenbart sind: „(1.) die Beziehung des Menschen zu sich selbst, (2.) die Beziehung des Menschen zu seiner sozialen Umwelt, (3.) die Beziehung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt und (4.) die Beziehung des Menschen zu seinem Gott. Alle diese Beziehungen aber verdanken sich ihrerseits der Beziehung Gottes zum Menschen […].“1773 In Christus erschließt sich dem Menschen die eschatologische Hoffnung einer vollendeten „heilvollen Ganzheit“, die für den Menschen dann verwirklicht ist, „wenn die Verhältnisse, in denen – und aus denen – er lebt, stimmen.“1774

Im Folgenden soll eine Auswahl von Aufsätzen, in denen Jüngel seine evangelische Anthropologie entwickelt, dahingehend erörtert werden, wie sich die in Christus antizipierte „heilvolle Ganzheit“1775 des zur imago dei bestimmten Menschen auf das Verständnis und die Gestaltung des Verhältnisses von Einzelnem und Gesellschaft auswirkt. Hierfür soll zunächst Jüngels Verständnis der in Jesus Christus offenbarten Bestimmung des Menschen zur imago dei, die sich in der geschöpflichen Gestalt des Menschen und im Vollzug seiner geschöpflichen Beziehungen äußert, dargestellt werden, um daran anschließend seine Auffassung von der im Eschaton hoffend erwarteten Vollendung der heilvollen Ganzheit des Menschen zu erörtern, woraufhin die sich aus der hoffenden Antizipation der heilvollen Ganzheit ergebende Wirkung auf den Vollzug der geschöpflichen Grundrelationen erläutert werden kann. Die Analyse der Aufsätze folgt dabei nicht der chronologischen Reihenfolge ihrer Publikation, sondern behandelt sie gemäß der genannten Struktur der vorliegenden Argumentation.1776 Die folgenden Ausführungen zu Jüngels Verständnis einer evangelischen Anthropologie, in der die Identität des Menschen als Person im Gott entsprechenden Vollzug seines ihm durch die Bestimmung zur imago dei zuteil werdenden Beziehungsreichtums begründet liegt, verstehen sich im Anschluss an Jüngels Hauptwerk Gott als Geheimnis der Welt (1977) im Sinne einer Entfaltung der dort am Ende als Glaube, Liebe und Hoffnung benannten anthropologischen Entsprechungen des göttlichen Geheimnisses der Welt, welche von Jüngel in diesem Zusammenhang als „Aufgabe einer das göttliche Geheimnis der Welt erzählenden Theologie“1777 bezeichnet wird:

„Glaube, Liebe und Hoffnung bringen, indem da jeweils geglaubt, geliebt und gehofft wird, als Akte und Seinsweise des Menschen zum Ausdruck, daß wir uns nicht haben. […] Der Glaube […] ist […] in seiner […] Struktur, die freilich ganz durch den sogenannten Inhalt des Geglaubten bestimmt ist, der existentiale Ausdruck dafür, daß der Mensch sich nicht selber hat. Und er ist zugleich Ausdruck dafür, daß dies kein Mangel ist. Auch im Akt der Hoffnung hoffen wir ja nicht darauf, daß wir uns irgendwann endlich selber besitzen werden.



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