Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen by Fröhlich Alexandra
Autor:Fröhlich, Alexandra [Fröhlich, Alexandra]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41565-8
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-07-26T22:00:00+00:00
Atemlos hatte ich Artjoms Geschichtsstunde gelauscht und war voller Ehrfurcht angesichts dieses bewegten Lebens. Verunsichert war ich auch, ob Alexej nicht insgeheim Groll hegte gegen die Deutschen. Mein Mann beruhigte mich.
»Mach dir keine Sorgen, Paula. Deduschka ist ein kluger und gütiger Mann. Er weiß doch, dass du mit den Dingen von damals nichts zu tun hast.«
Ich nicht, aber wie stand es eigentlich mit den Meinen? Gut, mein Opa väterlicherseits war als Offizier im Krieg gestorben, in Polen, soweit ich wusste, da waren wir aus dem Schneider. Aber Mutters Sippe? Wie in vielen deutschen Familien gehörte auch in dieser ihre Rolle im Nationalsozialismus nicht zu den bevorzugten Smalltalk-Themen.
Als ich, ein neugieriger Teenager, aufgewühlt vom Geschichtsunterricht, etwas darüber erfahren wollte, lautete die knappe Antwort, man sei allenfalls Mitläufer gewesen, Teil dieser diffusen, schweigenden Mehrheit, die von nichts, aber auch gar nichts wusste. So, Paula, und was machen die Ballettstunden? Übst du fleißig?
Dabei hatte ich es belassen. Wer wühlt schon gern im eigenen Dreck? Immerhin war ich mir einigermaßen sicher, dass die Pfeffersäcke keine schwerwiegenden Verbrechen begangen hatten, da meine Großeltern mütterlicherseits unmittelbar nach dem Krieg vorzügliche Beziehungen zu den britischen Alliierten unterhielten.
Was mir noch mehr Kopfzerbrechen bereitete als die Vergangenheit, war die gegenwärtige Frage: Wohin mit Deduschka?
Nach Artjoms Okkupation meiner Wohnung boten sich nur wenige Freiräume. Die Couch im Wohnzimmer konnte ich dem alten Mann keinesfalls zumuten. Das fand ich respektlos, außerdem wollte ich nicht morgens in einem dieser hauchdünnen Negligés, die ich neuerdings trug, auf dem Weg zur Küche über Opa stolpern.
Mein kleines Arbeitszimmer, das sich mit einem bequemen Schlafsofa für Übernachtungsgäste eigentlich anbot, hatte Artjom mit seiner Kleidung zugemüllt. Leider war das Fassungsvermögen unseres neuen Schlafzimmerschranks doch begrenzt, dafür entschädigte uns die Spiegelfront mit unerwarteten Einblicken in unser Liebesleben.
»Kannst du das bitte mal sortieren?«, fragte ich ihn und deutete auf die Klamottenberge.
»Warum?«
»Dann können wir die Sachen, die du nicht so oft trägst, in den Keller bringen.«
»Warum?«
»Um Platz zu schaffen.«
»Ich ziehe das aber alles ganz oft an.«
»Na gut, dann wandert alles nach unten.«
Artjom sortierte widerwillig, auch der Schreibtisch landete im Keller. Ich würde eh nicht zu Hause arbeiten können, solange wir Besuch hatten. Ich besorgte noch ein schlichtes Nachtschränkchen und eine kleine Lampe und hängte einen von Artjoms Gobelins an die Wand. Brunftiger Auerhahn, balzend. Ich war sehr zufrieden mit meinem Werk.
Als das Begrüßungskomitee, bestehend aus Rostislav, Darya, Artjom, Mutter und mir – Vater saß mit der dicken Eika noch im Schmollwinkel –, an einem Mittwoch endlich zum Flughafen eilte, waren alle sehr aufgeregt. Wie immer waren wir spät dran und die Passagiere aus Kiew längst ausgecheckt.
Fieberhaft durchsuchten wir die Ankunftshalle. Ich wusste nicht, wie Alexej aussah, Artjom hatte in seiner Unordnung kein Foto gefunden, in meiner Fantasie aber hatte sich das Bild eines schmächtigen, gebeugten Greises verfestigt, der nun orientierungslos und verängstigt in Fuhlsbüttel herumirrte.
Nachdem wir eine halbe Stunde vergeblich alle Geschäfte und Restaurants abgeklappert hatten, gingen wir zu einem Informationstresen und ließen ihn ausrufen. Kurz darauf erschien ein Zollbeamter, der uns sagte, dass Alexej eine große Menge nicht ordnungsgemäß
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