Marie Antoinette by Zweig Stefan

Marie Antoinette by Zweig Stefan

Autor:Zweig, Stefan
Die sprache: deu
Format: epub


• • •

War er es, war er es nicht?

(Eine Zwischenfrage)

Dies weiß man nun und weiß es unwiderleglich, daß Hans Axel von Fersen nicht, wie man endlos lange vermeinte, Nebengestalt, sondern die Hauptfigur im Seelenroman Marie Antoinettes gewesen ist; man weiß, seine Beziehung zur Königin war durchaus nicht nur galante Tändelei, romantischer Flirt, eine chevalereske Troubadourallüre, sondern eine in zwanzig Jahren gehärtete und bewährte Liebe mit allen Insignien ihrer Macht, dem feuerfarbenen Mantel der Leidenschaft, der zepterlichen Hoheit des Muts, der verschwenderischen Größe des Gefühls. Eine letzte Unsicherheit umschwebt nur noch die Form dieser Liebe. War sie – wie man im vorigen Jahrhundert literarisch zu sagen beliebte – eine »reine« Liebe, womit niederträchtigerweise immer jene gemeint war, bei der eine leidenschaftlich liebende und leidenschaftlich geliebte Frau dem liebenden und geliebten Mann die letzte Hingabe prüde verweigert? Oder war sie eine in jenem Sinn »sträfliche«, das heißt: in unserem Sinne eine ganze, freie, großzügig und kühn sich schenkende, alles schenkende Liebe? War Hans Axel von Fersen bloß der cavaliere servente, der romantische Anbeter Marie Antoinettes oder wirklich und körperlich ihr Geliebter – war er es, war er es nicht?

»Nein!« »Keinesfalls!« schreien sofort – mit einer merkwürdigen Gereiztheit und verdächtigen Voreiligkeit gewisse royalistisch-reaktionäre Biographen, die um jeden Preis die Königin, »ihre« Königin, »rein« und vor jeder »Herabwürdigung« geschützt wissen wollen. »Er liebte die Königin leidenschaftlich«, behauptet Werner von Heidenstam mit beneidenswerter Sicherheit, »ohne daß je ein fleischlicher Gedanke diese Liebe verunreinigt hätte, die der Troubadoure und Ritter der Tafelrunde würdig gewesen wäre. Marie Antoinette hat ihn geliebt, ohne einen Augenblick ihre Pflichten als Gattin, ihre Würde als Königin zu vergessen.« Für diese Art Ehrfurchtsfanatiker ist es undenkbar – das heißt: sie protestieren, daß jemand es denke –, »die letzte Königin von Frankreich könnte das ›dépôt d’honneur‹ verraten haben, das alle oder fast alle Mütter unserer Könige ihr vermachten«. Um Gottes willen also keine Nachforschungen, überhaupt keine Diskussion über diese »affreuse calomnie« (Goncourt), kein »acharnement sournois ou cynique« zur Aufdeckung des wahrhaften Tatbestands! Sofort geben die unbedingten Verteidiger der »Reinheit« Marie Antoinettes nervös das Klingelzeichen, wenn man sich der Frage auch nur nähert.

Muß man sich wirklich diesem Befehl fügen und mit schweigender Lippe an der Frage vorübergehen, ob Fersen Marie Antoinette zeitlebens nur »mit der Aureole auf der Stirn« gesehen oder auch mit männlich-menschlichem Blick? Geht nicht vielmehr, wer dieser Frage keusch ausweicht, an dem eigentlichen Problem vorbei? Denn man kennt einen Menschen nicht, solange man nicht sein letztes Geheimnis weiß, und am wenigsten den Charakter einer Frau, solange man nicht die Wesensform ihrer Liebe verstanden hat. In einer welthistorischen Beziehung wie dieser, wo jahrelang niedergehaltene Leidenschaft nicht etwa bloß zufällig an ein Leben streift, sondern schicksalhaft den seelischen Raum füllt und überfüllt, ist die Frage nach der Grenzform dieser Liebe nicht müßig und nicht zynisch, sondern entscheidend für das seelische Bildnis einer Frau. Um richtig zu zeichnen, muß man richtig die Augen auftun. Also: Treten wir heran, überprüfen wir die Situation und die Dokumente. Untersuchen wir, vielleicht gibt die Frage doch Antwort.

Erste Frage:



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.