Liebe ist nicht genug - Ich bin die Mutter eines Amokläufers by Sue Klebold

Liebe ist nicht genug - Ich bin die Mutter eines Amokläufers by Sue Klebold

Autor:Sue Klebold [Klebold, Sue]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104035796
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2016-09-25T00:00:00+00:00


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Meine Beziehung zu Dylan hat sich verändert, in meinem Kopf und in meinem Herzen. Genau jetzt habe ich eine entsetzliche Wut auf ihn. Ich frage mich, was ich als Mutter getan habe, dass er sich so verletzt, so wütend, so isoliert fühlte.

Tagebucheintrag, Oktober 1999

Als wir das Büro des Sheriffs nach der Vorführung der Videos verließen, befand ich mich in einem Schockzustand. Ich wankte über den Parkplatz zum Auto und lallte wie eine Betrunkene. Ich ging im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie angesichts der grauenvollen Dinge, die wir zu hören bekommen hatten, ganz zu schweigen davon, dass das Ausmaß der Gewalt noch viel größer hätte sein können.

In den Tagen und Wochen nach diesem Termin brach für mich die Welt zum zweiten Mal zusammen. Die Basement Tapes zwangen mich schließlich dazu, meinen Sohn so zu sehen, wie der Rest der Welt ihn sah. Kein Wunder, dass alle ihn für ein Monster hielten.

Jeder Mensch verfügt über einen inneren Kompass, der ihm die Richtung vorgibt. Mir jedoch fehlte, noch Monate nachdem ich die Videos gesehen hatte, jegliche Orientierung, ich wusste kaum mehr, wo oben und unten war.

Als ich schließlich den Schock überwand und wieder etwas fühlte, fraß mich meine Wut auf. Was Dylan so vielen unschuldigen Menschen angetan hatte und was er noch vielen mehr hätte antun können, machte mich rasend. So viele Monate hatte ich voller Liebe sein Andenken bewahrt, und er hatte dieses Andenken und alles andere kaputtgemacht. An Thanksgiving war die Tatsache, dass die Bomben nicht explodiert waren, das Einzige, wofür ich dankbar sein konnte. Dylans leerer Stuhl erinnerte mich daran, dass nur wenige Kilometer entfernt Familien saßen, bei denen ebenfalls Stühle leer blieben. Ich hielt Byrons Hand, als er mit warmen Worten Gott für die Speisen und für seine Familie dankte, aber es war unmöglich, ein Gespräch zu führen oder mehr als ein paar Bissen anstandshalber zu essen. Als Byron sich nach einer quälenden Viertelstunde entschuldigte und aufstand, um sein Geschirr in die Küche zu tragen, brachen Tom und ich in Tränen aus.

In dem Herbst verschlimmerten sich meine Verdauungsprobleme, und bei der jährlichen gynäkologischen Routineuntersuchung war mein Arzt von meinem Anblick ganz entsetzt. Ich kannte ihn seit langer Zeit, er hatte Dylan entbunden, und da ich zur gleichen Zeit schwanger gewesen war wie seine Frau, hatten wir den gleichen Säuglingspflegekurs besucht. Als Arzt und als Freund machte er mir klar: Ich brauchte unbedingt einen Therapeuten.

Er hatte damit mehr als recht. Juristische Gründe hatten mich vom Besuch einer Selbsthilfegruppe abgehalten, und obgleich meine Kollegen und Freunde immer unglaublich freundlich gewesen waren und sich meine Erinnerungen an Dylan, meine Klagen, meine Fragen angehört hatten, konnte ich doch beim besten Willen nicht mit ihnen über den Inhalt der Videos sprechen. In erster Linie machten die Gerichtsverfahren es unmöglich, und nun, wo einige meiner Fragen beantwortet waren, drängten meine Scham und meine Wut alles in den Hintergrund.

In meiner Verzweiflung vereinbarte ich einen Termin bei dem Therapeuten, den ich unmittelbar nach dem Amoklauf aufgesucht hatte. Ich hatte immer die Vermutung, dass er nicht



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