Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation by Katrin Grunwald

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation by Katrin Grunwald

Autor:Katrin Grunwald [Grunwald, Katrin]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644425415
Herausgeber: Rowohlt Digitalbuch
veröffentlicht: 2011-07-17T16:00:00+00:00


Damit nun dieses Szenario nicht rund um die Uhr als Horrorfilm erscheint, gibt es diverse Instanzen, die den Ablauf einer Klinik schönreden, und eine davon ist das sogenannte «Qualitätsmanagement». Böse Zungen behaupten, man solle doch erst einmal für Qualität sorgen, bevor man sie «managt», und ich teile diesen Eindruck, weil die Qualität, die wir gerne bei der Patientenversorgung hätten, immer schwieriger zu erreichen ist. Dessen ungeachtet aber wursteln sich die Damen und Herren aus dem Qualitätsmanagement in aller Ruhe ein Traumkrankenhaus zurecht, in dem alle mit allen sprechen und verhandeln und in dem es für jedes Problem eine adäquate Lösung gibt. Sie werden nicht müde, in diversen dafür geschaffenen Stabsstellen kryptisch klingende Statements auf bunten Zettelchen für jedermann lesbar an die Flipcharts zu kleben. Oft ist eines der Statements «Transparenz», dann steht wahrscheinlich ein Termin mit den Fensterputzern an.

Im technischen Bereich ist ein Qualitätsmanagement durchaus sinnvoll: Bricht bei einem Flugzeug im Betrieb die Tragfläche ab oder fliegt eine Wurstmaschine überraschend auseinander, wird man versuchen, mit den entsprechenden Fachleuten herauszufinden, woran es denn gelegen haben könnte, und verhindert so eventuell mit neuen Schräubchen und Druckventilen weitere Katastrophen. Aber so simpel funktioniert das Qualitätsmanagement im Dienstleistungsbetrieb leider nicht, denn man kann weder bei den Angestellten noch bei den Patienten zu hundert Prozent genau voraussagen, wie sie sich verhalten werden. Wird die verunsicherte junge Assistenzärztin in ihrem ersten Bereitschaftsdienst die Übersicht behalten oder zum Nachteil der Patienten den Faden verlieren, weil sie sich nicht traut, einen Kollegen um Rat zu fragen? Wird die Patientin nach der Notfall-Bypass-Operation nachbluten oder nicht? Bemerkt der übermüdete Kollege, dass die Infusion viel zu schnell läuft? Rutscht eine Kollegin auf dem Linoleumboden auf einer Lache Urin aus, weil der Verschluss des Katheterbeutels defekt ist? Und muss der andere Kollege in die Ambulanz und dann nach Hause, weil er von einem psychotischen Patienten einen Fausthieb in die Rippen kassiert hat? Wird der Dienst so ruhig bleiben, oder wissen wir nach einer Stunde nicht mehr, wo oben und unten ist?

Das Qualitätsmanagement verhält sich nicht dazu, dass das Pflegepersonal aller Stationen massiv überfordert ist und sich Pflegefehler zunehmend häufen: Da wird die Entstehung eines Druckgeschwürs bei einer bettlägerigen alten Frau übersehen, in all der Hektik eine falsche Medikamentendosierung verabreicht, es wird die ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit oder Schmerzmedikamenten verschwitzt – und das, obwohl sich haufenweise Mappen mit sorgfältig ausgetüftelten Pflegestandards auf jeder Station befinden. Es kommt nur niemand mehr dazu, sich auch noch damit zu befassen.

Vielleicht interessiert sich das Qualitätsmanagement aber auch gar nicht dafür, denn eines seiner großen Ziele besteht darin, eine Zertifizierung zu bekommen – eine Zertifizierung, die verdeutlicht, wie toll, effizient, familienfreundlich und was weiß ich nicht was noch alles das Krankenhaus ist, in dem wir alle arbeiten. Um ein solches Zertifikat zu bekommen, müssen sich alle ganz viel Mühe geben, es kommen Herren in schicken Anzügen und stellen Fragen.

«Wissen Sie denn, wo der Feuerlöscher hängt?»

«Können Sie den Defibrillator bedienen?»

Und dann winken sie lachend ab, wenn man es ihnen zeigen will. Es gibt sogar Kliniken, die an diesen Tagen den Kollegen frei geben, von denen freche Antworten zu erwarten sind.



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