Liebe heute by Biller Maxim

Liebe heute by Biller Maxim

Autor:Biller, Maxim [Biller, Maxim]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30585-2
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


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Lieber Arthur

Ich hatte gerade eine ziemlich unangenehme Geschichte hinter mir. Zuerst wollte ich nicht, dann wollte sie nicht. Dann sagte sie: »Ich schreibe dir einen Brief, mein Liebling, wenn ich weiß, wie ich mich entschieden habe.« Der Brief war vor ein paar Tagen gekommen, und jetzt konnte ich mal wieder ganz von vorn anfangen.

Als ich am nächsten Abend viel zu spät ins Borchardt kam, dachte ich: Die ist aber auch nicht schlecht! Sie saß bei Emil am Tisch, und wir sahen uns schon von weitem an.

Emil war noch ganz aufgeregt wegen des Horvath-Preises, den er am Vormittag im BE bekommen hatte. »Warum warst du nicht da?« sagte er. Sein kleines, ängstliches Gesicht war so rosa wie das Pfirsichsorbet vor ihm.

»Es tut mir leid«, sagte ich und gab ihm die Hand. Er wollte mich küssen, weil Theaterleute sich immer küssen. Also küßten wir uns. Dann grüßte ich die anderen, die an dem langen, weißgedeckten Tisch dicht nebeneinander saßen. Die meisten kannte ich nicht, und die paar, die ich kannte, fand ich langweilig.

Sie sah mich immer noch an. Sie hatte die Art von Augen, die man dunkel und interessant nennt und die einem schnell auf die Nerven gehen können. Und sie hatte einen sehr roten Mund. Das haben Frauen mit dunklen und interessanten Augen oft, und der Lippenstift glänzt meistens mehr, als er sollte.

Die Frau mit dem Brief hatte andere Augen gehabt. Auch dunkel, aber anders. Wenn man hineinsah, sah man sich selbst, zumindest, solange man mit ihr zusammen war.

Ich zog vom anderen Tisch einen Stuhl heran und bat die Leute, zu rücken. Jetzt saßen wir uns genau gegenüber. Ich preßte mein Knie leicht gegen ihr Knie, und sie rutschte weg.

»Was trinken Sie?« sagte sie.

»Das ist mir egal.«

»Trinken Sie Rotwein mit mir?«

»Nein.«

Sie lachte. Sie war fünfzehn Jahre jünger als ich, und sie sagte »Sie« zu mir.

»Haben Sie Hunger?«

»Mir ist seit Tagen schlecht.«

»Okay«, sagte sie, »ich verstehe.«

Dann erzählte sie mir, was sie in Berlin machte – es hatte etwas mit Emils Preis zu tun. Morgen würde sie nach Köln zurückfahren, und bis ihr Zug ging, hatte sie noch zwölf Stunden Zeit. Sie sagte das zweimal.

Während sie redete, überlegte ich, wie es wäre, meinen Kopf auf ihre Schulter zu legen. Ich fragte mich, ob sie unten im Rücken zwei kleine Dellen hatte. Und dann beugte ich mich zu ihr vor, um herauszufinden, ob ich ihren Geruch gut fand.

Sie beugte sich auch vor und sagte: »Ich habe alles gesehen, was Sie in Bochum gemacht haben, Arthur.«

Die Stimmen um uns wurden lauter. Es war, als würde jemand den Lautstärkeregler langsam höher drehen. Es störte mich nicht, ich mußte nicht jedes Wort verstehen, das sie sagte.

Dann rief Emil, der kleine, ängstliche Emil, über den ganzen Tisch: »Hallo, hallo! Ich möchte, daß wir ein Gläschen auf Ödön trinken!«

Der Kellner ging mit einem Tablett herum, und jeder kriegte ein Glas Wodka. Wir tranken aus, und ein sehr großer, grauhaariger Ostdeutscher sagte: »Und jetzt noch eins auf Emil!«

»Warum waren Sie heute nicht im BE?« sagte sie.

»Es ging leider nicht.«

»Ich finde«, sagte sie so leise, daß ich sie in dem Lärm kaum verstand, »Sie sollten den Preis auch bekommen.



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