Lauf, wenn du kannst by Gardner Lisa

Lauf, wenn du kannst by Gardner Lisa

Autor:Gardner, Lisa [Lisa, Gardner]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-10-28T16:00:00+00:00


Auf dem fünfzehn Meter langen Schießstand des Schützenverbandes des Staates Massachusetts in Woburn war für einen Sonntagnachmittag nicht viel los. Bobby rollte zwei orangefarbene Ohrstöpsel aus Schaumstoff zwischen den Fingern, stopfte sie sich in die Ohren und setzte dann die Schießbrille auf. Er hatte seine Smith & Wesson .38 Special und nur so zum Spaß eine .45 Colt Magnum mitgebracht.

Wenn Bobby zur monatlichen Schießprüfung antrat, feuerte er nie mehr als einen Schuss ab. Das genügte. Man brauchte fast eine Stunde, um alles vorzubereiten, und dann schoss man ein einziges Mal. Den Kaltschuss. Er hieß deshalb so, weil beim allerersten Schuss aus einer beliebigen Waffe die Kugel durch einen kalten Lauf glitt. Das Geschoss erhitzte den Lauf, was bei jedem weiteren Schuss zu leicht veränderten ballistischen Daten führte.

Bei einem Scharfschützen ging man davon aus, dass er die anderen Geschosse ohnehin nicht brauchen würde. Ein Schuss, ein Toter, und deshalb spielte Tag für Tag, Übungseinheit für Übungseinheit, nur dieser einzige Kaltschuss eine Rolle.

Nun stellte Bobby sechs Schachteln Munition neben sich auf. Die Messinghülsen klapperten in den Behältern. Er öffnete die erste Schachtel und lud die Waffe.

Er begann mit der .38er, und zwar aus drei Metern Entfernung, nur so zum Warmwerden. Danach schob er die Zielscheibe auf sieben Meter zurück. Studien zufolge feuerten Polizisten ihre Schüsse aus durchschnittlich, sieben Metern Entfernung ab, was diesen Abstand bei Schützen sehr beliebt machte. Bobby fragte sich oft, wer diese Studien nur durchführte und warum sie sich nie die Mühe machten, zu erwähnen, ob die Polizisten bei diesen ominösen Schießereien gewannen oder unterlagen.

Am Anfang lief es miserabel. So schlecht hatte Bobby sein Lebtag nicht geschossen, und für einen Menschen, der vom Nationalen Schießverband den Titel eines Meisterschützen erhalten hatte, war so etwas richtiggehend peinlich. Er fragte sich, ob schon irgendwo in der Kulisse ein Privatdetektiv wartete, um die Zielscheibe als Beweisstück in Bobbys anstehendem Prozess sicherzustellen. Der Bursche würde die chaotisch zerlöcherte Scheibe im Zeugenstand hochhalten und ausrufen: »Schauen Sie sich das an, Euer Ehren. Und das von einem Mann, den die Staatsanwaltschaft als Experten hinstellen will.«

Vielleicht konnte er ja gar nicht mehr auf Pappkameraden schießen. Vielleicht gab man sich, nachdem man einen echten Menschen erschossen hatte, nicht mehr mit so etwas zufrieden.

Der Gedanke bedrückte ihn. Seine Augen brannten. Er war traurig und wütend. Und er wusste nicht mehr, was zum Teufel er eigentlich empfinden sollte.

Bobby legte die .38er weg und griff nach der .45er. Dann legte er auch sie wieder weg und blieb einfach reglos in der Halle stehen, kniff sich, um Fassung ringend, den Nasenrücken zusammen, ohne das Gefühl in Worte fassen zu können.

Am anderen Ende des Schießstands feuerte J.T. Dillon, der beste Mann des Schützenverbandes von Massachusetts, einen Schuss nach dem anderen ab. Nach einer Weile trat Bobby von der Schusslinie zurück in den Schatten und sah dem älteren Mann zu.

An diesem Nachmittag benützte Dillon eine Pistole Kaliber .22, die kaum an eine wirkliche Waffe erinnerte. Der Griff war riesengroß, bestand aus Holz und sah weniger wie ein Pistolengriff als wie ein grob gehauenes Stück Baumstumpf aus.



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