Kosmopolitismus ohne Illusionen by Benhabib Seyla

Kosmopolitismus ohne Illusionen by Benhabib Seyla

Autor:Benhabib, Seyla
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-11-16T00:00:00+00:00


1917

Demokratische Iterationen und demokratische Exklusionen

Eine Debatte um die gerechten Grenzen des demokratischen Demos

1. Über politische Zugehörigkeit

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die transnationale Bewegung von Völkern als eine große politische und programmatische Problematik unserer Zeit herausgeschält. Solche Migrationsbewegungen stellen das Weltstaatensystem vor beispiellose Herausforderungen, gleichgültig ob sie nun durch Wirtschaftsflüchtlinge aus ärmeren Regionen der Welt ausgelöst werden, die versuchen, die materiell bessergestellten Demokratien im Norden und Westen zu erreichen, ob sie von Asylsuchenden und Flüchtlingen unternommen werden, die Verfolgung, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen entkommen wollen, oder ob sie von Vertriebenen ausgehen, die vor Bürgerkrieg, ethnischen Auseinandersetzungen und staatlich verübter Gewalt in ihren eigenen Gesellschaften fliehen. Angesichts der Auffälligkeit dieser Entwicklungen überrascht es, dass die grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen der Völker und die durch sie naheliegenden philosophischen und grundsatzpolitischen Probleme als Gegenstand der zeitgenössischen politischen Philosophie bisher wenig Beachtung gefunden haben.[1]

In Die Rechte der Anderen habe ich versucht, diese Lücke im Denken der Gegenwart zu füllen, indem ich mich auf politische Zugehörigkeit konzentrierte. Mit diesem Ausdruck bezeichnete ich die »Prinzipien und Praktiken zur Integration von Ausländern und 192Fremden, Immigranten und Neuankömmlingen, Flüchtlingen und Asylsuchenden in bestehende Gemeinwesen«.[2] Die nationale Staatsbürgerschaft als Hauptkategorie, mit der in der modernen Welt die Zugehörigkeit geregelt wurde, ist diversifiziert worden und in verschiedene Elemente zerfallen, die staatliche Souveränität zerfaserte. »Wir sind wie Reisende, die sich in einem unbekannten Gebiet mit Hilfe alter Landkarten orientieren, die zu anderer Zeit für andere Vorhaben erstellt wurden«, schrieb ich. »Während sich die Weltgemeinschaft der Staaten, das Gebiet, in dem wir uns fortbewegen, gewandelt hat, blieb unsere normative Landkarte unverändert.«[3]

Ich näherte mich der politischen Zugehörigkeit vor dem Hintergrund der veränderten Institutionen nationaler Staatsbürgerschaft und Souveränität und ging dabei wie folgt vor:

Erstens hob ich das konstitutive Dilemma im Kernbereich liberaler Demokratien hervor, das sich aus den Forderungen souveräner Selbstbestimmung, die Qualität und Quantität der Wanderungsbewegungen von Völkern über Staatsgrenzen kontrollieren zu wollen, und dem Festhalten an allgemeinen Menschenrechtsprinzipien ergibt.

Zweitens analysierte ich dieses konstitutive Dilemma im Licht der Diskursethik und stellte mir die Frage, ob ein diskursethischer Ansatz dazu beitragen könne, Licht auf die Bedingungen gerechter Zugehörigkeit zu werfen.

Drittens stellte ich fest, dass zwischen dem Rechtsprinzip und dem Rechtekatalog unbedingt unterschieden werden muss, um differenzieren zu können zwischen einerseits den universalistischen normativen Verpflichtungen, die das Handeln der demokratischen Legislative binden sollten, und andererseits dem akzeptablen Spielraum und der Variation bürgerlicher, politischer und sozioökonomischer Rechte, die je nach den geschichtlichen, kulturellen, institutionellen und juristischen Traditionen variieren können.

Viertens argumentierte ich, dass »das Menschenrecht auf Zugehörigkeit« aus der Anwendung von diskursethischen Prinzipien auf Praktiken der Staatsbürgerschaft und Einbürgerung folgt. In mei193ner Formulierung beinhaltet dieses Recht, dass kein politisches Gemeinwesen die Bedingungen einer Einbürgerung so vorschreiben sollte, dass »andere« dauerhaft von der Zugehörigkeit ausgeschlossen wären. Gründe, die jemandes Zugehörigkeit verhindern, weil diese Person eine bestimmte Sorte Mensch ist, das heißt wegen ihrer askriptiven und nichtgewählten Attribute wie Rasse, Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, Sprachengemeinschaft oder Sexualität, wären aus diskursethischer Sicht nicht annehmbar.[4] Bedingungen wie die Lebensdauer in dem Gastland, die Sprachbeherrschung, ein bestimmter Nachweis von staatsbürgerlichem Verständnis, Belege für materielles



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