Kommunikation in der Arbeitswelt by Werner Pfab

Kommunikation in der Arbeitswelt by Werner Pfab

Autor:Werner Pfab
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783658298487
Herausgeber: Springer Fachmedien Wiesbaden


Mit jeder Deutung ist naturgemäß – wie mit jeder Interpretation – das Problem der Mehrdeutigkeit gegeben (bedeutet die Zustimmung des indonesischen Kollegen zu einer Anweisung, dass er sie auch tatsächlich befolgt?). Daher wird in diesem Zusammenhang die Forderung nach Ambiguitätstoleranz erhoben, d. h. die Forderung, die Fähigkeit zu entwickeln, die Fragwürdigkeit und Vorläufigkeit einer eigenen Deutung aufrecht zu erhalten, ohne dadurch handlungsunfähig zu werden.

Ob man sich interkulturell sensible Deutungsmuster aneignet, und welche dies sind, hängt entscheidend vom eigenen Selbstverständnis ab, d. h. davon, wie man sich in einer konkreten Beziehung zum Gegenüber selbst versteht. Klemm et al. (2011) zeigen in einer Studie über die Kommunikation zwischen europäischen Betriebsräten eines global agierenden Konzerns, dass die deutschen Mitglieder sich und ihre europäischen Kollegen wesentlich über „Gleichheitsannahmen“ definierten („Wir sind alle Arbeitnehmervertreter, das definiert uns“) und dadurch Unterschiede zwischen ihnen und Betriebsräten anderer Nationen nicht in den Blick nahmen bzw. nicht im Bewusstsein hatten, was in der Interaktion faktisch zu Abwertungen und Diskriminierungen führte (S. 129 ff.).

Interkulturelles Wissen kann auf der kognitiven Ebene im günstigsten Fall zu einem kultursensiblen Umgang mit den Gesprächspartnern führen. Kommunikation vollzieht sich aber stets – und vor allem! – auf der affektiven Ebene des unmittelbaren Erlebens – und die Vorgänge auf dieser Ebene sind nur in sehr begrenztem Maße der Reflexion zugängig und entsprechend steuerbar (s. das Beispiel aus Abschn. 3. 5).

In ganz anderer Weise, aber ebenfalls mit erheblichen Folgen, wirken Handlungen und Äußerungen, durch die Menschen ihr Selbstwertgefühl in erheblichem Maße tangiert oder beeinträchtigt erleben, z. B.: Unpünktlichkeit bei einer Verabredung wird als respektlos empfunden. In solchen Fällen wird das Erleben von Gesprächsmomenten gleichsam ohne Reflexion in unser Innerstes „durchgereicht“ und führt dort zu Schutz- und Abwehrreaktionen. Dies gilt generell für jegliche Interaktion, erfährt in Fällen interkultureller Kommunikation aber noch einmal eine Erweiterung, weil man in Fällen kulturidentischer Interaktion mittels gemeinsam geteilter Höflichkeitsregeln „face“-schonend miteinander umgehen kann, diese Höflichkeitsregeln in interkultureller Kommunikation aber gerade nicht miteinander geteilt werden.

Wissen über Höflichkeitsregeln anderer, interaktionsrelevanter Kulturen kann man sich aneignen. Es ist eine wichtige interkulturelle Ressource. Störungsfreie interkulturelle Kommunikation garantiert das Wissen allerdings nicht, weil die Anwendung des Wissens wiederum eine Frage kultureller Praxis ist. Neben dem Wissen über andere Kulturen sehen Pfab und Döppner daher „[…] insbesondere Ambiguitätstoleranz, Offenheit für Neues und Unbekanntes, Selbstreflexivität, die Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Kulturen und Sichtweisen einzulassen, ‚switchen können‘, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, aber auch, mehrere Perspektiven in den Blick zu nehmen als wesentliche Kompetenzen“ (Pfab und Döppner 2019, S. 251).

Das Erleben tiefgreifenden Unverständnisses ist typischerweise mit konträren Empfindungen verbunden, mit dem Bedrohungsgefühl der Angst und mit Verzweiflung – Angst, ausgelöst durch das Erleben von Fremdheit, und Verzweiflung, ausgelöst durch das Erleben, den Anderen nicht (mehr) erreichen zu können, aber auch mit der Faszination des Fremden, die Neugier und Sehnsüchte nach dem „Anderen“ wecken kann. Welche dieser Impulse den Ausschlag geben, hängt neben konkreten Merkmalen der jeweiligen Situation und ihrem Aufforderungscharakter wesentlich vom eigenen Sicherheitsgefühl und dem Empfinden einer stabilen Persönlichkeit ab.



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