Kolbe by Andreas Kollender

Kolbe by Andreas Kollender

Autor:Andreas Kollender [Kollender, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Pendragon Verlag
veröffentlicht: 2015-09-02T16:00:00+00:00


10

Der Preis der Geheimnisse

Auf dem Tisch liegen die Stadtpläne des alten Berlin und die von Bern. Licht spiegelt sich auf Fotos von von Ribbentrop, von Günther und von Walter und Käthe Braunwein. Ansichtskarten von Bern und Berlin lehnen am vernarbten Globus, Todesanzeigen auf pulvertrockenem, gelb gewordenem Papier schlucken Sonnenglanz.

Die Russen waren Ihnen also tatsächlich auf die Schliche gekommen, sagt Wegner. Soviel ich weiß, ist bis heute unklar, wie es dazu kam.

Unklar ist noch so einiges, sagt Fritz. Ich befürchte, das wird so bleiben.

Und der gute Exgeneral Gehlen ist dabei, eine ganz große Nummer zu werden in Ihrem Deutschland, sagt Wegner. Russen und Amerikaner haben Sie damals schon nach ihm gefragt.

Aber dieser Schinken …, sagt Fritz.

Schinken? Herr Kolbe, ich bitte Sie.

Sie denken immer, es gehe um große Ereignisse. Darum geht es nie, immer erst im Nachhinein. Das große Ereignis setzt sich zusammen aus vielen Alltäglichkeiten – und aus Lügen. Mein Gott, Mann, haben Sie eine Ahnung, welche Bedeutung ein Schinken hatte zu dieser Zeit? In Berlin? Ich habe Marlene ein Stück auf die Nase gelegt und es dort weggegessen.

Gehlen, sagt Wegner.

Fritz holt eine weitere Kiste mit Fotos. Er legt ein Porträt von General Gehlen auf die Papiere. Der schmale Mann blickt an die Decke. Ein Nazi, sagt Fritz, wird der Chef des ersten deutschen Nachrichtendienstes sein.

Das muss Sie doch verrückt machen, sagt Veronika Hügel.

Fritz zündet sich eine Zigarette an. Ja, denkt er, macht es auch.

Man gewöhnt sich daran, sagt er. Er sieht Veronika Hügel an, sie sitzt mit dem Rücken zum Fenster, im Sonnenlicht schimmert ihr Haar metallen, sie formt eine Fingerkamera.

Stimmt nicht, korrigiert Fritz sich, man gewöhnt sich nicht daran. Ich hatte so viel Ärger, weil ich nie in die NSDAP eingetreten bin – und jetzt ist es völlig gleich, ob jemand Parteimitglied war oder nicht. Das kann alles nicht wahr sein.

Er schlägt mit der Faust auf den Tisch, Papiere bewegen sich, eine Tasse klirrt auf ihrem Untersetzer.

Eichmann, sagt Fritz, Adolf Eichmann, einer der obersten Judenvernichter. Ich war es, der den Alliierten zum ersten Mal diesen Namen nannte. Ich habe Schriftstücke von Eichmann an von Günther gelesen, Hilfsersuche an die Wehrmacht und all diesen Kram. Eichmann ist die Flucht gelungen. Ich sage Ihnen, mehr Menschen, als wir ahnen, wissen, wo er steckt. Außerdem denke ich, dass dieses Schwein ein ganz gutes Leben führt, wahrscheinlich. Ich meine, wie kann einem solchen Mann das Untertauchen und die Flucht gelingen, wenn er keine Helfer hat? Er braucht gut gefälschte Papiere, er braucht Geld, er braucht Leute, die ihn decken und ihm Unterschlupf gewähren und so weiter und so weiter. Ich, verstehen Sie, ich habe den Amerikanern gesagt, wer dieser Mann ist.

Also, wie auch immer, sagt Wegner und greift zum Stift. Nach der zweiten Bernreise sind Sie zurück nach Berlin. Hat es im Amt niemanden gegeben, der Ihnen auf die Schliche gekommen ist? Die Situation dort muss doch mit Fortschreiten des Kriegsverlaufes immer schlimmer geworden sein. Noch mehr Misstrauen und Lügen und Angst, oder?

Es war die Hölle. Schweigen und Schauspielern, das waren die Tricks. Erbärmlich.



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