Kennen wir uns nicht? by Sophie Kinsella

Kennen wir uns nicht? by Sophie Kinsella

Autor:Sophie Kinsella
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Literatur&Fiktion
ISBN: 9783442466559
Herausgeber: oldmann Verlag
veröffentlicht: 2011-04-11T16:07:21+00:00


ZWÖLF

Okay. Ich muss meinem Gedächtnis dringend nachhelfen. Ich hab endgültig genug von dieser Amnesie. Ich hab genug davon, dass mir alle Leute erzählen, sie wüssten mehr über mein Leben als ich selbst.

Es sind meine Erinnerungen. Sie gehören mir.

Ich blicke tief in meine Augen, die sich direkt vor meiner Nase in der Schranktür spiegeln. Ich habe mir angewöhnt, immer so nah vor dem Spiegel zu stehen, dass ich nichts anderes sehe, nur meine Augen. Das beruhigt mich irgendwie. Es gibt mir das Gefühl, dass mein altes Ich noch da ist.

»Erinnere dich, du Spatzenhirn!«, sage ich zu mir, mit tiefer, böser Stimme. »Er-in-ne-re dich«

Meine Augen stieren mich an, als wüssten sie alles, wollten aber nicht raus damit. Ich seufze und lehne meinen Kopf frustriert gegen den Spiegel.

Seit unserem Besuch in der Musterwohnung bin ich vollends in die vergangenen drei Jahre abgetaucht. Ich habe tagelang Fotoalben durchforstet, Filme angesehen, von denen ich wusste, dass ich sie »kenne«, mich mit Songs beschäftigt, die die alte Lexi hundertmal gehört hat ... Aber es bringt alles nichts. Die mentale Schublade, in der meine fehlenden Erinnerungen weggeschlossen sind, scheint ziemlich stabil zu sein. Sie wird sich nicht öffnen lassen, nur weil ich mir »You‘re Beautiful« von James ... Wie-heißt-er-noch anhöre.

Dämliches, geheimnistuerisches Hirn! Ich meine, wer hat denn hier das Kommando? Ich oder du?

Gestern war ich bei diesem Neurologen - Neil. Er nickte zwar mitfühlend, während ich ihm alles erzählte, und machte sich reichlich Notizen. Aber dann meinte er nur, das sei alles ausgesprochen faszinierend, und vielleicht wolle er eine Forschungsarbeit über mich schreiben. Auf mein Drängen fugte er hinzu, es könne vielleicht helfen, eine Zeitleiste anzulegen, und vielleicht sei es zudem sinnvoll, einen Therapeuten aufzusuchen.

Aber ich brauche keine Therapie. Ich brauche mein Gedächtnis. Der Spiegel beschlägt von meinem Atem. Ich drücke meine Stirn so fest dagegen, als lägen die Antworten allesamt bei meinem Spiegel-Ich, als könnte ich sie finden, wenn ich mich nur genügend konzentrierte ...

»Lexi? Ich muss los.« Eric kommt ins Schlafzimmer, hält mir eine DVD hin, ohne Hülle. »Schatz, die hast du auf dem Teppich liegen lassen. Keine sonderlich sinnvolle Aufbewahrung für eine DVD ...«

Ich nehme ihm die Disc ab. »Entschuldige, Eric«, sage ich eilig. Es ist die Ambition: Folge 1-DVD, von der ich mir neulich den Anfang angesehen habe. »Ich weiß gar nicht, wie die dahin gekommen ist.«

Das ist gelogen. Sie ist dahin gekommen, als Eric weg war und ich mindestens fünfzig DVDs auf dem Teppich verteilt hatte, zusammen mit Zeitschriften und Fotoalben und Schokoladenpapier. Gut, dass er nicht da war, sonst hätte er bestimmt einen Herzinfarkt bekommen.

»Dein Taxi ist für zehn Uhr bestellt«, sagt Eric. »Ich bin jetzt weg.«

»Gut!« Ich küsse ihn wie inzwischen jeden Morgen. Langsam kommt es mir schon ganz normal vor. »Hab einen schönen Tag!«

»Du auch.« Er drückt meine Schulter. »Hoffentlich geht alles gut.«

»Wird schon«, sage ich zuversichtlich.

Heute gehe ich wieder zur Arbeit, Vollzeit. Nicht, um die Abteilung zu übernehmen - so weit bin ich noch nicht. Aber um meinen Job neu zu lernen, um aufzuholen, was ich verpasst habe. Fünf Wochen sind seit dem Unfall vergangen.



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