Jugendjahre by Remo H. Largo
Autor:Remo H. Largo [Largo, Remo H.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper Verlag GmbH, München
veröffentlicht: 2017-03-15T23:00:00+00:00
34) Alkoholkonsum bei jungen Erwachsenen in Deutschland. Mindestens einmal pro Woche trinken 68 Prozent der jungen Männer und 31 Prozent der jungen Frauen Alkohol. Junge Männer konsumieren mehrheitlich Bier, junge Frauen mehrheitlich Mixgetränke. Junge Männer trinken mehr als doppelt so viel Alkohol wie junge Frauen (97 g bzw. 39 g reinen Alkohol pro Woche) (BZgA 2004).
Heißt das, dass Alkohol- und Drogenkonsum einfach zur Pubertät dazugehören? Geht es also nicht darum, Verführungen auszuschalten, sondern darum, Jugendliche fit zu machen für den Umgang mit diesen Gefahren und Verlockungen?
Man sollte nicht bagatellisieren. Aber wenn man sich nur an den Auswüchsen orientiert, das Verhalten aller Jugendlichen damit verteufelt und meint, durch das Schüren von Ängsten könnten Gefahren wirksam bekämpft oder gar vermieden werden, dann scheint mir das die falsche Strategie zu sein. Ich möchte stattdessen für Verständnis plädieren. Wir sollten wissen, weshalb sich Jugendliche diesen Gefahren aussetzen, aber auch weshalb diese Versuchungen irgendwann ihre Anziehungskraft verlieren. Warum überstehen die meisten Jugendlichen die risikoreichen Jahre gut und nur einzelne scheitern daran? Viel lehrreicher, als immer wieder die negativen Entwicklungen zu analysieren, ist doch die Frage, warum die große Mehrheit der Jugendlichen nicht im Alkohol- und Drogenkonsum untergeht.
Das klingt befreiend. Wenn man einmal die ganze Panikmache beiseite lässt, erkennt man, dass Alkohol für viele Jugendliche ein wichtiges Mittel ist, um Ängste und Bedrohungen temporär zu vergessen, aber auch, um Unsicherheit und Schüchternheit gegenüber den Gleichaltrigen zu überwinden und leichter Beziehungen zu knüpfen.
Fairerweise müssen wir doch sagen, nicht nur Jugendliche verhalten sich so, auch viele Erwachsene. Alkohol ist ein weit verbreitetes Mittel, um Ängste herunterzuspülen oder bei einer Veranstaltung gelöster aufzutreten und leichter Kontakte zu knüpfen. Darüber hinaus spielt der Gruppendruck eine wichtige Rolle. Gerade was Alkohol und Drogen, aber auch Risikoverhalten anbelangt, ist es für die meisten Jugendlichen kaum möglich, sich den Usancen der Gruppe entgegenzustellen und nicht mitzumachen. Sie befürchten oft zu Recht, ausgegrenzt oder fallen gelassen zu werden. Es braucht sehr viel Charakter und Eigenständigkeit, sich da rauszuhalten.
Was neuerdings die Öffentlichkeit beunruhigt, sind Massenbesäufnisse, sogenannte Botellons. Jugendliche versammeln sich vornehmlich an den Wochenenden zum gemeinsamen Alkoholkonsum und Feiern an öffentlichen Plätzen. Aufgekommen ist dieser Trend Anfangs der 1990er Jahre in Spanien. 2004 trafen sich bei solch einem Event in Sevilla 70000 Jugendliche.
In Zürich wurde über die Internetplattform Facebook für den 29. August 2008 zu einem Botellon aufgerufen, woraufhin sich innerhalb weniger Tage rund 1800 Teilnehmer zusammenfanden. Hinterher hieß es in den Medien, dass mit zunehmendem Alkoholkonsum die Aggressivität gestiegen und es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sei. 22 Personen mit unterschiedlichen Verletzungen seien in die umliegenden Spitäler eingeliefert worden. Die mit Glassplittern übersäte und teilweise mit Erbrochenem verschmutzte Wiese an der Seepromenade hätte in der Folge für die Bevölkerung gesperrt werden müssen. Das war wieder einmal eine sinnlose Empörungsreaktion. Und die Lösungsvorschläge von Behörden und Politikern waren repressiv: Alkoholische Getränke sollen verteuert und deren Verkauf an minderjährige Jugendliche strenger kontrolliert werden. Sogar ein Versammlungsverbot für solche Anlässe wurde in Erwägung gezogen. Die Erwachsenenwelt wollte einmal mehr bestimmen, unter welchen Rahmenbedingungen sich die Jugendlichen wie und wo treffen können.
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