Im Schatten des Schwertes: Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs (German Edition) by Holland Tom

Im Schatten des Schwertes: Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs (German Edition) by Holland Tom

Autor:Holland, Tom [Holland, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2012-09-20T22:00:00+00:00


Der große Krieg

Um die Osterzeit des Jahres 600 flammte die Seuche in Galiläa wieder auf. Der Ausbruch war so heftig, dass die Pest sich bald über die Golanhöhen hinaus und in die an Palästina angrenzende Wildnis aus Gestrüpp und Sand weiterverbreitete. Zu den am schlimmsten befallenen Grenzsiedlungen gehörte Jabiya, die große Zeltstadt der Ghassaniden. Dort erinnerte man sich noch lange danach an das Grauen der Pest. »Wie ein Wirbelwind«, so schrieb ein Dichter der Stadt, »zog sie bei ihrem lodernden Durchzug den Rauch hinter sich her.«61

Die Araber, die jenseits der Grenzen des Imperiums lebten, waren zuvor von den schlimmsten Auswirkungen der Seuche verschont geblieben. Die Infektion breitete sich in der Wüste wesentlich langsamer aus als in städtischen Straßen oder auf Feldern. Mehr als ein halbes Jahrhundert war seit dem ersten Auftreten der Pest vergangen, und die Araber nahmen nach wie vor selbstverständlich an, es handle sich um eine Krankheit im »Land der Römer«.62 Für die Ghassaniden ebenso wie für die Lakhmiden hatte sich aufgrund der Katastrophen, von denen die Völker im gesamten Fruchtbaren Halbmond heimgesucht waren, der Spielraum beträchtlich erweitert, denn durch die Erschöpfung und Verarmung ihrer jeweiligen Schirmherren waren die Zügel deutlich gelockert. So konnten beispielsweise Arethas und Mundhir in den 540er Jahren, als die Pest am verheerendsten wütete, ihre persönliche Fehde frei und »ohne Bezug auf die Römer oder die Perser« nach Belieben auf die Spitze treiben.63 Die Unterstützung durch die Großmächte wurde im Wirbel des eigenen giftigen Hasses aufeinander fast bedeutungslos. Die beiden Seiten schlugen nicht mehr so sehr im Namen von irdischen, sondern von himmlischen Schirmherren aufeinander ein. Mundhir gelang es, einen der Söhne des Arethas gefangenzunehmen, und er zögerte nicht, sein früheres Opfer an al-’Uzza von 400 Jungfrauen durch die Opferung des Ghassanidenprinzen an die Göttin zu überbieten. Außerdem hieß es, andere christliche Gefangene seien vom König der Lakhmiden durch Folter gezwungen worden, sich zu al-’Uzza zu bekehren. Die Nachricht von diesen Greueltaten wurde dem heiligen Simeon auf seiner Säule hinterbracht, und er war derart konsterniert, dass er auf der Stele begann, für die Ghassaniden zu beten. Das hatte, wie nicht anders zu erwarten, einen überwältigenden, entscheidenden Sieg des Arethas zur Folge. In einer großen Schlacht beim syrischen Chalkis wurde ein Trupp lakhmidischer Invasoren vernichtend geschlagen. Simeon wurde mit Hilfe himmlischer Kräfte auf einen Hügel getragen, von wo er das Geschehen verfolgen konnte, und trug zum Sieg der Christen bei, indem er den Heiligen Geist bat, Mundhir mit einem Feuerball niederzuschlagen – und dieser Bitte kam der Heilige Geist umgehend nach. Arethas pries die gefallenen Ghassaniden, unter denen sich auch sein ältester Sohn befand, nicht nur als Helden, sondern als Märtyrer für die Sache Christi.

Diese Vorstellung – dass der Zweck des Tötens nicht nur im Beutemachen gesehen werden muss, sondern auch als Dienst für den Himmel interpretiert werden kann – stellte für die Araber eine reizvolle neue Perspektive dar. Vor allem für die Ghassaniden wurde sie schnell sehr viel mehr: Bald bildete sie den innersten Kern ihrer Identität. Um das Jahr 600 stand ihr Selbstbild unanfechtbar fest: Sie waren die Schilde eines christlichen Imperiums.



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