Ich denke, also will ich: Philosophie des freien Willens by Julian Baggini
Autor:Julian Baggini [Baggini, Julian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie
ISBN: 9783423429689
Google: 0k1gDAAAQBAJ
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2016-06-23T22:00:00+00:00
Teil IV
Die eingeschränkte Freiheit
Der Psychopath
Der Philosoph Daniel Dennett bezeichnet die Willensfreiheit als »das wichtigste und zugleich schwierigste philosophische Problem, mit dem wir es heute zu tun haben«[113]. Als ich ihn nach den Gründen dafür fragte, sagte er: »Es ist wichtig, weil es eine lange Tradition gibt, die den freien Willen als Grundbedingung moralischer Verantwortung betrachtet. Unser System von Recht und Ordnung, von Strafe, Lob und Schuld, von gehaltenen oder gebrochenen Versprechen, Zivilrecht, Strafrecht – all das beruht auf der ein oder anderen Konzeption der Willensfreiheit.« Da jetzt aber »Neurowissenschaftler, Physiker und Philosophen behaupten, die Wissenschaft habe bewiesen, dass Willensfreiheit eine Illusion ist und damit unser ganzes Rechtssystem auf Sand gebaut, müssen wir eine radikale Reform anstreben, denn diese Situation ist unhaltbar. Die Welt wird sich grundlegend verändern.«
Die Wurzel des ganzen Problems ist die uns mittlerweile vertraute Idee, der freie Wille setze voraus, dass jemand »auch anders hätte handeln können«. Wie wir gesehen haben, lässt sich eine Handlung auch als frei verstehen, wenn wir nicht hätten anders handeln können. Doch können wir einen Menschen als lobens- oder tadelnswert betrachten, wenn dieser keine andere Wahl hatte? Viele Denker würden diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Oder wie der Neurowissenschaftler Sam Harris in Bezug auf Vergewaltiger und Mörder sagt: »Zu sagen, sie hätten die Freiheit besessen, nicht zu vergewaltigen und nicht zu morden, ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass sie dem Impuls zu dieser Handlung hätten widerstehen können (oder diesen Impuls gar nicht erst hätten fühlen können) – obwohl das Universum, einschließlich ihrer Gehirne, in eben demselben Zustand war, in dem es sich zum Zeitpunkt der Tat befand.«[114] Harris verweist auf das Beispiel von Joshua Komisarjevsky, der mit seinem Komplizen in das Haus einer vierköpfigen Familie einbrach, den Vater brutal zusammenschlug und fesselte, eine Tochter vergewaltigte, die Mutter erdrosselte und dann beide Mädchen mit Benzin übergoss und lebendig verbrannte. Harris sagte: »Wenn ich an jenem 23. Juli 2007 an Komisarjevskys Stelle gewesen wäre – wenn ich seine Gene, sein Leben und sein Gehirn (oder seine Seele) in genau demselben Zustand gehabt hätte –, dann hätte ich nicht anders gehandelt als er.« Die Tatsache, dass er die Gene und Lebenserfahrung des Mörders eben nicht hatte, sei purer Zufall, der auf Geburt und die Umstände zurückzuführen sei. »Das Glück spielt also eine entscheidende Rolle.«[115] Daraus schließt Harris: »Jeder, der mit der Seele eines Psychopathen zur Welt kommt, hat einfach Pech gehabt.«[116]
Auch Richard Dawkins gehört zu den Wissenschaftlern, die argumentieren, dass »eine wirklich wissenschaftliche und damit mechanistische Sicht des Nervensystems nicht zur Vorstellung von Verantwortung passt, ob reduziert oder nicht. Jedes Verbrechen, wie schändlich es auch sein mag, kann im Grunde zurückgeführt werden auf vorausgehende Bedingungen, die in der Physiologie, der Vererbung und der Umwelt des Angeklagten ihren Ausdruck fanden […] Die Zuweisung von Schuld und Verantwortung ist ein Aspekt dieser nützlichen Fiktion des intentionalen Handelns, die wir in unserem Gehirn hegen, um eine der Wirklichkeit sehr viel näherkommende Analyse dessen, was in der Welt vorgeht, in der wir leben, abzukürzen.« Dawkins meint, diese Art
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