Honecker privat by Herzog L
Autor:Herzog, L [Herzog, L]
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-07-23T22:00:00+00:00
Lernen, lernen, nochmals lernen
Gemäß diesem Lenin zugeschriebenen Appell musste auch ich zeitlebens zumindest in der DDR die Schulbank drücken. Ich war ausgebildeter Kellner, was aber nicht ausreichte. Schon nach wenigen Jahren in Wandlitz meinten meine Vorgesetzten, ich müsse mich zum Serviermeister qualifizieren. Warum nicht? Allerdings setzte der Besuch eines entsprechenden Lehrgangs den Abschluss der 10. Klasse voraus, die ich aber nicht absolviert hatte.
Also musste ich zunächst im »Abendstudium«, nach der Schicht und zwischen den Dienstreisen, die zwei Schuljahre in einem Jahr nachholen. Dem schloss sich sogleich der Meisterlehrgang an. Im Mai 1971 war ich dann endlich Serviermeister.
Im Internet stellte jemand jüngst die Frage, er habe in einem alten DEFA-Film die Berufsbezeichnung
»Serviermeister« gehört, ob ihm jemand sagen könne, was das sei. Darauf antwortete ihm eine Arbeitsagentur am 28. September 2005: »Dieser Beruf der ehemaligen DDR basierte auf einer berufsbegleitenden Weiterbildung, die man nach einer einschlägigen Facharbeiterausbildung absolvieren konnte. Serviermeister/innen übernahmen anspruchsvolle Aufgaben bei der Bewirtung von Gästen in Restaurants, Gasthäusern oder Hotels. Sie waren für eine größere Anzahl von Tischen verantwortlich, erstellten Dienstpläne sowie Kalkulationen für den Servicebetrieb und leiteten Mitarbeiter/innen an. Darüber hinaus empfingen sie die Gäste, boten ihnen einen Tisch an oder empfahlen die Spezialitäten der Tageskarte. Auch das Zubereiten am Tisch, beispielsweise einer flambierten Speise, konnte zu ihren Aufgaben gehören. Meist wirkten sie auch bei der berufspraktischen Ausbildung des Facharbeiternachwuchses mit.« Und dann hieß es noch: »Vergleichbare Berufe der Bundesrepublik Deutschland: Oberkellner/in, Restaurantmeister/in.«
Selten habe ich derart sachlich und präzise eine Profession in der DDR in einer westdeutschen Quelle dargestellt gesehen. Denn genau das war nun meine Tätigkeit. Hinzu kamen, was mit meiner Anbindung zusammenhing, natürlich auch Betreuungs-und Sicherungsaufgaben, die jedoch nichts mit diesem Berufsprofil ursächlich zu tun hatten. Folglich bestand zwischen beiden kein kausaler, allenfalls ein zeitlicher Zusammenhang.
Gleichwohl: Wenige Wochen nach dem Meisterlehrgang hieß es, dass ich mich fortan ausschließlich um Erich Honecker kümmern solle. Ich war noch keine 30, er noch keine 60 und der »Kronprinz«. Jeder wusste, dass EH Nachfolger von Walter Ulbricht werden würde. Außer den Gerüchten mehrten sich auch die Indizien. So hatte bereits im Dezember 1970, auf dem 14. Plenum, dessen Hauptgegenstand der Volkswirtschaftsplan des folgenden Jahres war, Honecker die Kollektivität der Parteiführung herausgestellt, was die Kaffeesatzleser als indirekte Kritik an Ulbricht und dessen selbstbewussten Alleingängen interpretierten. Da das Schlusswort des Ersten Sekretärs auf der ZK-Tagung entgegen aller bisher geübten Praxis anderentags nicht im Zentralorgan zu lesen war, erhärtete sich die Vermutung, dass ein Wechsel an der Parteispitze unmittelbar bevorstünde. Dieser erfolgte schließlich Anfang Mai 1971.
Ulbricht war mehr oder minder genötigt worden, »aus gesundheitlichen Gründen« seine Parteifunktion abzugeben. Die Wahl seines Nachfolgers hatte auf dem Parteitag zu erfolgen. Das geschah Mitte Juni. Formal blieb Ulbricht Vorsitzender des Staatsrates, doch in dieser Funktion amtierte Friedrich Ebert, der Sohn des einstigen Reichspräsidenten. Letztmalig hatte ich eine von Ulbricht geführte Parteidelegation zum XXIV. Parteitag der KPdSU im März 1971 nach Moskau begleitet. Dort hatte Ulbricht in seinem Grußwort noch daran erinnert, dass er zu den wenigen im Saal gehöre, die Lenin persönlich gekannt hätten, was von einigen leicht indigniert aufgenommen worden war.
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