HOMO TOURISTICUS by HOMO TOURISTICUS Sanna Felden

HOMO TOURISTICUS by HOMO TOURISTICUS Sanna Felden

Autor:HOMO TOURISTICUS Sanna Felden
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783958650084
Herausgeber: 110th
veröffentlicht: 2014-09-08T00:00:00+00:00


Der Schweizer

Kaum ein Dokument ist begehrter, als der Schweizerpass. Weshalb ist nicht bekannt, man forscht noch. Lange Zeit war man davon überzeugt, die Anziehungskraft des begehrten Ausweises sei auf die enorme Innovationsfreudigkeit der alpenländischen Bewohner zurück zu führen.

Immerhin erfanden sie den Schweizer Käse, Präzisionsuhren, Ricola Kräuterbonbons und das Bankengeheimnis. Was also macht den Schweizer aus, wenn er sich selbst als Duckmäuser beschreibt, der mit ein wenig schlechtem Gewissen seinen Reichtum verwaltet. Gewiss, das griffige Selbstbild lässt ahnen, dass er zumindest kritische Einsicht zeigt, wenn man auf sein Geld zu sprechen kommt. Eines scheint sicher: Wenn Sie einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen, dann springen Sie hinterher, es gibt bestimmt etwas zu verdienen!

Dennoch sollten seine herausragenden Eigenschaften nicht unerwähnt bleiben. Ein Eidgenosse macht keine störenden Geräusche und schmutzt nicht. Er ist unauffällig, unfruchtbar, unsichtbar, geruchlos, und vor allem ungeheuer fleißig. Es ist ein böses Gerücht, wenn da und dort behauptet wird, dass in Schweiz die Straßen sauber seien und der Schmutz auf Bankenkonten läge. Vermutlich hat dieses Vorurteil das Wesen des Schweizers nachhaltig beeinflusst. Er ist so sehr um Unauffälligkeit bemüht, dass man ihn unter normalen Umständen kaum bemerkt. Im Ausland nicht und im Inland meistens auch nicht.

Das mag daran liegen, dass er wegen seiner geringen Population im Vergleich zum übrigen europäischen Ausland eher selten ist. Eine Rarität unter den knapp 400 Millionen Europäern. In der Regel lebt der Eidgenosse zurückgezogen und bevorzugt als Lebensraum, vergleichbar mit den Murmeltieren, überwiegend höhere Gebirgslagen. Der Einfachheit halber hat er sein Land weitestgehend untertunnelt, damit der Fremde schnell vorankommt. Es war ihm stets ein Anliegen, dass der Ausländer auf dem Weg nach Frankreich oder Italien zügig wieder raus ist aus seiner Schweiz und nicht weiter stört. Sollte ein Reisender wider Erwarten doch einmal übernachten müssen, verblüfft ihn der Eidgenosse mit einem gut gehüteten Geheimnis. Hotelbetten und Abendessen sind immer doppelt so teuer wie der Tourist in seinem Brustbeutel bei sich trägt.

Einige Zeitgenossen behaupten, reinrassige Schweizer gäbe es ebenso wenig wie reinrassige Kühe. Aber das halte ich für eine Legendenbildung. Zum großen Teil stammen sie nämlich vom gleichen Volksstamm wie die Österreicher oder die Deutschen ab, drum heißen sie ja auch Alemannen, nur dass sie einfach anders sind. Wie sehr sie sich von den Anwohnern rings um ihre Grenzen unterscheiden bemerkt der Tourist, wenn er aus Neugierde die Tunnelautobahn verlässt oder weil es ihn in den endlosen schwarzen Löchern gruselt. Plötzlich entdeckt er den zurückgezogenen Nachkommen Tells am Wegesrand. Dort pusten sie tieftönig in riesige Alphörner, dass es einem die Magenwände dreht. Meist stehen ein paar Japaner in der Nähe und klatschen Beifall. Beim Schweizer kommt Freude auf. Er hat mal etwas gewagt – ist lautstark aus der Deckung gekommen.

Doch sogleich verzieht er sich wieder hinter eines seiner windschiefen Holzhütten, auf deren Dächern er ganze Mineraliensammlungen drapiert hat. Das Gewicht der Steine soll wohl verhindern, dass der Wind die Hütte einfach mitreißt. Oder dass sich die Decke hebt, weil im Winter nicht gelüftet wird. Offenbar hat der Vorfahr des Schweizers schlechte Erfahrungen gemacht.



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