Hochglanzweiber: Roman (German Edition) by Hera Lind

Hochglanzweiber: Roman (German Edition) by Hera Lind

Autor:Hera Lind
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783955200459
veröffentlicht: 2014-10-29T23:00:00+00:00


An einem wunderschönen Frühsommertag hielt Wilma Einzug bei Lilli und Milan.

Winzing war ein zauberhaftes Dörflein mit einem Zwiebelturmkirchlein, vielen Wiesen und Scheunen, in denen grüne Trecker standen, und der Liebsee lag in der Sonne und schlief.

Der Himmel war strahlend blau, die Vögel sangen, die Bäume trugen das satteste Grün, die schneebedeckten Dreitausender leuchteten am Horizont, als Milan Wilmas Rollstuhl über die Rampe fuhr. Es roch so wunderbar nach Freiheit, dass Wilma hätte jubeln können, wenn sie nicht hundert Narben an Körper und Seele gehabt hätte.

»So, Madl,«, sagte Milan. »Nun hab ich dich auch mal geschoben. Nach dreiundzwanzig Jahren. Wurde ja auch wirklich mal Zeit für eine Revanche.«

»Danke, Milan.« Wilma drehte sich nach dem lässigen coolen Typ um, der ihre Freundin Lilli geheiratet hatte. Er trug ein rotschwarz kariertes Flanellhemd zu ausgebeulten Cordhosen. Seine langen lockigen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Lilli hatte wie immer ein geblümtes weites Kleid an. Sie trug Wilmas Köfferchen ins Haus. Das alte Bauernhaus lag völlig einsam inmitten grüner Wiesen. Vereinzelte knorrige Eichen standen auf dem Grundstück. Zwei schwarz glänzende Katzen aalten sich in der Sonne.

Sie warfen einen trägen Blick auf Wilma, rührten sich aber nicht von der Stelle.

»Die sind an Rollis gewöhnt«, sagte Milan heiter. »Mein Vater ist hier auch immer rumgedüst.«

»Na ja, gedüst ist vielleicht übertrieben«, wandte Lilli ein. »Am Schluss war es mit ihm wie am Ende von Zeit des Erwachens.«

»Schön habt ihr’s hier.« Wilma sah sich in Ruhe um. Welch ein kleines Paradies. Sie hoffte die ganze Zeit heimlich, Ferdinand Sailer würde hier auftauchen.

»Na ja, nachdem wir kein Geld haben, mussten wir die Bude Stück für Stück selber renovieren. War ein ganz schöner Haufen Arbeit.«

Milan stand vor Wilma und hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben. Wilma musste gegen die Sonne blinzeln. »Diogenes hätte jetzt gesagt, geh mir aus der Sonne.«

»Wenn du dich schon mit Diogenes vergleichst, bist du auf dem besten Wege, das Leben endlich zu leben.« Milan drehte den Rollstuhl um. »Besser? Lilli hat mir erzählt, dass du ein Workaholic warst. Das wird sich jetzt ändern!«

Wilma atmete tief durch. »Wunderbare Luft habt ihr hier. Früher in München hab ich nie gemerkt, was mir fehlte: frische Luft und Ruhe. Ich dachte, Abgase, Smog, riesige Häuserfronten und missmutig blickende Menschen in überfüllten Straßenbahnen seien das Nonplusultra. Und wenn ich dann eine Story gewittert habe, bin ich ihr nachgehetzt, als hinge mein Leben davon ab.«

»Man rennt so rum und denkt, man habe sein Leben im Griff … dabei hat man sich längst zur Marionette gemacht. Merkt es aber nicht«, erklärte Milan. »Weil die Knete stimmt, denkt man, man lebt.« Der blutjunge Knabe hatte ja richtig philosophische Denkansätze!

»Was magst du trinken, Wilma?«

Milan schlenderte ins Haus. Es roch nach Holz. Überhaupt war Wilma seit dem Unfall sehr geruchsorientiert. Alles war besser als dieser Krankenhausgeruch, und dies hier war einfach ein Fest der Gerüche.

»Probier mal unseren Apfelmost, selbst gemacht, direkt vom Bauern da hinten.«

»Okay«, sagte Wilma. Es tat ihr gut, mit zwei so unkomplizierten Menschen zusammen zu sein. Geflickte Jeans, Flanellhemden, ungekämmte lange Haare, keine Armbanduhr, und zweiundzwanzig Jahre Altersunterschied.



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