Guter Mann im Mittelfeld by Andrei Mihailescu

Guter Mann im Mittelfeld by Andrei Mihailescu

Autor:Andrei Mihailescu [Mihailescu, Andrei]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783312006786
Herausgeber: 2015 Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag München
veröffentlicht: 2015-08-24T16:00:00+00:00


Raluca weinte während der ganzen Rückfahrt. Sie weinte zu Hause weiter. Sie schloss sich ins Badezimmer ein und duschte eine Stunde lang. Das Viertel, in dem sie wohnten, war eins der wenigen, in denen es noch rund um die Uhr warmes Wasser gab.

Sie fand Ilie im Schlafzimmer. Er trug noch den Anzug und schien nicht müde. Neben ihm stand auf dem Fenstersims eine angebrochene Flasche Sekt vom Fest.

Raluca sagte nichts.

«Es gibt noch einen Schluck für dich», sagte Ilie munter.

Raluca sah ihn ungläubig an.

«Haben wir etwas zu feiern?», fragte sie.

«Ach, komm schon», sagte Ilie, stellte sein Glas ab und kam langsam näher. Er lächelte sie an. «Es wird schon wieder. War doch eine gute Party, bloß der Schluss ist in die Hosen gegangen.»

Raluca machte den Mund auf, ihr fiel jedoch im Moment nichts ein. Sie war zu müde, um zu reagieren. Ilies Jacke roch nach Zigarettenrauch, sein Atem ebenfalls, und nach Alkohol.

Raluca spürte, wie sich unter ihrer Benebelung etwas regte: Ekel. Und Wut. Ihr drehte sich der Kopf. «Geh duschen», sagte sie und wandte sich ab. Auf dem Nachttisch leuchtete ihre Lampe schützend über dem Wasserglas und einem kleinen Porzellanhund.

Ilie seufzte genervt. Er drehte sie zu sich. Er versuchte, ihr in die Augen zu schauen. Seine untere Gesichtshälfte sah feucht und aufgedunsen aus. «Gut. Hör zu», sagte er langsam. «Ich wusste nicht, dass er kommen würde. Auch Mitică wusste es nicht. Ich habe das Fest nicht organisiert. Wenn er da ist, dann muss man halt das Beste daraus machen. Man kann doch …»

«Was ist ‹das Beste› für dich?», fragte Raluca. Ihre Wut hatte sich zusammengeballt, das fühlte sich gut an. Sie stand unbeweglich und gerade vor ihm.

Sie schwiegen beide eine Weile.

«Schau», sagte Ilie ernst, geduldig, «dieser Abend war enorm wichtig. Du musst langsam lernen, solche Chancen zu erkennen. Ich kann dir nicht mehr dazu sagen, aber wir sind jetzt bei Gavrilă Ceauşescu angesagt. Er hat uns anscheinend sehr nett gefunden. Er hat ein wenig übertrieben, er weiß es. Er wird …»

«Er hat mir an den Hintern gefasst, Ilie!», rief Raluca. «Ist das jetzt gut oder schlecht für dich?»

Sie hielt den Bademantel fest um ihren Körper gewickelt. Ein paar nasskalte Haarsträhnen klebten ihr im Gesicht.

«Du bist müde», sagte Ilie, «du denkst nicht klar. Raluca, hör zu. Dieser Mann ist die Zukunft des Landes. Und wir haben ihn jetzt auf unserer Seite. Überleg dir das mal. Meinetwegen hat er dich ein wenig angefasst. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, Raluca. Meine Güte, was für ein Drama! Als du achtzehn warst, bist du auch auf Tanzfeste gegangen. Wie waren die Jungs dort, als es spät wurde? Das passiert allen Mädchen, die keine Vogelscheuchen sind, das weißt du doch, Frau. Wovon reden wir eigentlich? Das ist überall auf der Welt so. Männer trinken ein wenig und werden gegen Schluss halt etwas anhänglich. Du bist eine erwachsene …»

«Und damals kamst du dann und hast dem anhänglichen Burschen einen kräftigen Kinnhaken verpasst! Weil wir zusammengehörten! Ilie, damals hast du dich nicht umgedreht und einfach mit dem nächstbesten Flittchen



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