Graeca – Byzantina – Neograeca by Athanasios Kambylis Foteini Kolovou Günter Prinzing

Graeca – Byzantina – Neograeca by Athanasios Kambylis Foteini Kolovou Günter Prinzing

Autor:Athanasios Kambylis, Foteini Kolovou, Günter Prinzing
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2019-12-16T13:01:24.187000+00:00


3.2.2

Die Hauptargumente der Opponenten

Sehen wir uns jetzt die Hauptpunkte bzw. -argumente, die in dieser Kontroverse eine Rolle spielen, etwas näher an. Die Vertreter der These vom „Immer-besser-Verstehen“ stützen sich – soweit ich sehe – im Wesentlichen auf folgende:

(A1) Verstehen eines Textes (x) ist Erkennen dessen, was der Text aussagt. Erkenntnis von x aber ist Erkenntnis dessen, wie es sich mit x in Wahrheit verhält und nicht davon, wie x (von einem bestimmten Standort her) zu sein scheint. Wenn wir glauben, erkannt zu haben, wie es sich mit x verhält, dann erheben wir zu unseren Überzeugungen universale Geltungsansprüche. Relativierende Einschränkungen sind hier nicht vorgesehen.

(A2) Frege zeigt in seiner Abhandlung: „Der Gedanke“, dass es möglich sein muss, den Sinn von Sätzen, die vom jeweiligen Gegenüber geäußert werden, sogar quasi punktgenau zu „fassen“, d. h. zu verstehen, weil es anderenfalls die – immer schon notwendig unterstellte – Möglichkeit ernstzunehmender Widerlegung von Thesen, damit die Möglichkeit rationaler Kontroversen, gemeinsamer Wissenschaft nicht geben könnte.114

(A3) Apel wendet – wie wir gesehen haben (S. 115 ff.) – gegen Gadamer ein, dass dieser sich mit seiner These vom Immer-anders-Verstehen in einen performativen Selbstwiderspruch verwickle und damit gegen das Selbsteinholungsprinzip verstoße.

(A4) Apel hat – wie außerdem dargestellt (S. 115 ff.) – dafür argumentiert, dass aus dem „Immer-anders-Verstehen“ von Gadamer ein „Immer-besser-Verstehen“ werden könnte, wenn davon ausgegangen werde, dass die bei Gadamer inkommensurablen Ausganspositionen und Standorte der Interpreten sich in einer Fortschrittslinie anordnen lassen und damit kommensurabel werden.

Alle vier Punkte sind prima facie sehr stark und überzeugend. Die ersten drei haben den Charakter sinnkritischer antiskeptischer Argumente. Sie artikulieren Dinge, die als überall bekannt, selbstverständlich und unbestreitbar gelten können. Das vierte läuft auf einen Vorschlag hinaus, eine Konzeption des (historisch) hermeneutischen Verstehens zu denken, die mit dem – für alle rationale Philosophie unhintergehbaren – Prinzip der Selbsteinholung vereinbar ist.

Die Vertreter des „Immer-anders-Verstehens“ können sich vor allem auf folgende Punkte stützen:

(B1) Das Erkennen von x qua Erwerb von wahren Überzeugungen (Hypothesen) über den Gegenstand x (Gadamers „Rekonstruktion“) ist klar zu unterscheiden von dem Erkennen von y qua Aneignung von y selbst als einer Antwort (Gadamers „Integration“).

(B2) Das bloße (theoretische) Erkennen eines fremden Textes, so wie er dasteht, ist zu unterscheiden von dem den Text unvermeidlich komplettierenden, ergänzenden Verstehen fremder Gedanken qua Aneignung derselben derart, dass diese dann vom Interpreten frei verwendet werden können.

(B3) Es geht beim Verstehen von Texten nicht um Projekte im Namen der und für die Menschheit (wie sonst bei wissenschaftlichen Unternehmungen üblich), sondern um Projekte im Namen von und für partikulare Gruppen. – Sich fremde Antworten Aneignen bzw. Verfügbar-Machen, heißt diese Antworten Vermitteln mit Fragen des Interpreten, die von partikularen Standorten abhängig und geprägt sind.

(B4) Die Idee eines schlechthin optimalen (für jedermann optimalen) Verständnisses eines Textes ist ebenso unverständlich wie die Idee eines Fortschritts in the long run beim Verstehen von Texten.

Auch die Argumente für diese Position scheinen mir sehr stark zu sein. Sie argumentieren freilich für das Ungewöhnliche und sind insofern weniger vertraut und durchsichtig als die Argumente für die Gegenposition. Daher wollen wir die Argumente zu B, bevor wir die Kontroverse austragen, noch etwas erläutern.



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