Geschichte Irlands by Stuchtey Benedikt

Geschichte Irlands by Stuchtey Benedikt

Autor:Stuchtey, Benedikt [Stuchtey, Benedikt]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783406640551
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Die große Hungersnot 1845–1849

Am 1. Juli 1848 bezogen 833.889 Menschen Armenunterstützung, das war die höchste Zahl von Empfängern an einem einzigen Tag. Bis zum Oktober desselben Jahres wurden 16.686 Kleinbauern von ihren Höfen vertrieben, weil sie außerstande waren, die Pacht zu bezahlen. Im November brach die Cholera aus. Einen Monat später veröffentlichte Charles Edward Trevelyan seinen empörenden Bericht The Irish Crisis mit der Empfehlung, Irland solle weiterhin Nahrungsmittel exportieren. Trevelyan behandelte die Insel als kolonialen Besitz der Briten: Die landwirtschaftliche Produktionskraft der Kolonie hatte der industriellen des Mutterlandes zu dienen. Eine schärfere Zäsur als die Hungersnot hat es in der irischen Geschichte des 19. Jahrhunderts nicht gegeben. Schuld an der Kartoffelfäule war ein möglicherweise aus Südamerika eingeschleppter Pilz, der schon 1845 die Ernte um ein Drittel dezimierte und sie 1848 dann vollständig ausfielen ließ.

Europäische Reisende hatten schon zuvor beschrieben, wie die Härten des britischen Freihandels das Leben auf dem Land prägten. Hermann Fürst Pückler-Muskau schilderte seine Irlanderfahrungen im 28.–43. Brief seiner Briefe eines Verstorbenen (1830–1832). Sein Weg zum privaten Wohnsitz von O’Connell in Kerry verheimlichte ihm nicht die Armut, die er mit der Lage im zeitgenössischen Sachsen verglich. Der umtriebige Pückler wurde später noch von Charles Dickens in dessen Pickwick-Papers erwähnt. Beide Schriftsteller hatten einen genauen Blick für den Zustand Irlands, von dem Karl Marx und Friedrich Engels in Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845) behaupteten, 27 % lebten unter der Armutsgrenze: «Sie sind arm wie die Kirchenmäuse, tragen die elendesten Lumpen und stehen auf der tiefsten Bildungsstufe, die in einem halbzivilisierten Lande möglich ist.»

Seit dem frühen 19. Jahrhundert war die Landfrage dringlich geworden, und so verstärkten sich die Aktivitäten von Untergrundbewegungen. Die Abgabe des Zehnten an die anglikanischen Pfarrer, Landhunger, erdrückende Pachtzinsen, Kartoffelfäule – das waren die Reizworte für die militanten Organisationen. Das Bewusstsein für eine katholische Nation war in den 1830er Jahren weniger entwickelt als das Bedürfnis nach einer regionalen oder lokalen Lösung alltäglicher Probleme. So wenig die meisten Menschen aus ihrer dörflichen Umgebung herauskamen, so sehr identifizierten sie sich mit ihrem engeren Umfeld. Die «Ribbonmen» z.B. waren im nördlichen Munster prominent; in ihrem Kampf gegen die ihrer Wahrnehmung nach rationalisierte Staatsgewalt der viktorianischen Bürokratie drohten sie Gewalt gegen Grundbesitzer an.

Als das am dichtesten bevölkerte Land Europas mit über acht Millionen Menschen hatte Irland vor Ausbruch der Hungerkatastrophe einen sehr fragilen politischen und wirtschaftlichen Zustand erreicht. Von politischer Liberalisierung und ökonomischer Modernisierung war es weit entfernt. Die soziale Krise bildete in dieser Situation einen ähnlichen Wendepunkt wie die revolutionäre der 1848er Jahre im restlichen Europa. Dass sich Ende Juli 1848 in Tipperary etwa 100 Mitglieder der Irish Confederation eine Straßenschlacht mit der Polizei lieferten und hier ihren Anteil am revolutionären Erbe Europas einforderten, hatte für die irische Geschichte keine Folgen. Dass aber die Hungersnot die Gesamtbevölkerung um über 20 % reduzierte, machte sie zu einem einzigartig dramatischen Wendepunkt des irischen 19. Jahrhunderts. Um 1848 lebten nur noch schätzungsweise 6,5 Millionen Menschen in Irland, wenngleich die Zahlen ungenau bleiben müssen, weil viele Menschen in Massengräbern endeten. Noch



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