Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert by Winkler Heinrich August

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert by Winkler Heinrich August

Autor:Winkler, Heinrich August [Winkler, Heinrich August]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406615658
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2011-12-22T23:00:00+00:00


4. Nationalstaaten und Imperien: 1850–1914

Materialismus versus Idealismus: Die geistige Wende in der Mitte des 19. Jahrhunderts

Ein liberales Berliner Blatt, die «National-Zeitung», sprach im Jahre 1856 aus, was so oder ähnlich viele fortschrittlich gesinnte Bürger im Europa jener Zeit empfunden haben dürften. «Im Gefühl der Unbefriedigung über verfehlte ideale Zwecke, in der Trostlosigkeit über mißlungene ideale Bestrebungen hat die intelligente und materielle Kraft des Volkes sich auf das Gebiet des Erwerbs konzentriert, und die Gegenwart ist Zeugnis dessen, was die konzentrierte Kraft der Völker vermag, wenn Intelligenz und körperliche Arbeit vereint zu einem Zweck hinwirken. Was die idealistischen Bestrebungen vergebens versuchten, ist dem Materialismus in wenigen Monaten gelungen: die Umgestaltung der gesamten Lebensverhältnisse, die Verschiebung der Schwerpunkte und der Machtverhältnisse in den Organismus des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Beherrschung des Sinnens und Trachtens fast in allen Köpfen und die Anspannung einer nie gekannten Energie, eine förmliche Sucht nach rastloser Tätigkeit in allen Nerven, Muskeln und Sehnen.»

Das Lob des Materialismus hatte nicht zuletzt materielle Gründe: Die Jahre 1850 bis 1856 waren beiderseits des Nordatlantiks eine Zeit des rasanten Wirtschaftsaufschwungs, der Expansion der industriellen Fabrikation und des Bergbaus, des Schienenverkehrs, der telegrafischen Nachrichtenübermittlung und der Dampfschiffahrt, der Aktiengesellschaften, des Bank- und Börsenwesens. Durch die Entdeckung reicher Gold- und Silbervorkommen in den Gebirgen Kaliforniens, Mexikos und Australiens war die Geldzirkulation nach 1850 in weltweitem Maßstab schlagartig gestiegen, so daß es keine Übertreibung ist, von einem «Globalisierungsschub» um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu sprechen. Der Hochkonjunktur folgte, den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft entsprechend, ein zyklischer Einbruch in Gestalt der Weltwirtschaftskrise von 1857 bis 1859. Doch auch in diesen Jahren ging die wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzung unvermindert weiter. Ab 1859 begann sich die Konjunktur wieder zu erholen; in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte ein neuer «Boom» ein.

Seine wissenschaftliche Rechtfertigung erfuhr der Materialismus unter anderem durch das 1855 erschienene Buch «Kraft und Stoff» des Darmstädter Arztes Ludwig Büchner, eines Bruders des Dichters Georg Büchner. Eine andere post- und antiidealistische Denkströmung war der Positivismus, wie ihn der französische Philosoph Auguste Comte, einer der Gründerväter der Soziologie, in seinem zwischen 1851 und 1854 erschienenen «Système de politique positive» vertrat. Das vierbändige Werk stellte die Geschichte der menschlichen Erkenntnis als einen am Fortschritt ausgerichteten Prozeß dar, der drei Stadien durchlief: Dem theologischen oder fiktiven folgte ein metaphysisches oder abstraktes Stadium, das schließlich in der Moderne vom positiven oder wissenschaftlichen Stadium abgelöst wurde. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des letzten Bandes von Comtes «System», 1859, legte Charles Darwin sein Hauptwerk «Die Entstehung der Arten» vor, in dem der englische Naturforscher die Evolution der Lebewesen, ihren Kampf ums Dasein und ihre natürliche Selektion beschrieb. Im Jahr darauf begann die Veröffentlichung des magnum opus des englischen Philosophen Herbert Spencer, des «Systems der synthetischen Philosophie», das ebenfalls den Gedanken der Evolution in den Mittelpunkt einer wissenschaftlichen Welterklärung rückte.

Politisch am folgenreichsten aber war eine andere Art der Idealismuskritik: jene, die Karl Marx 1859 im Vorwort zu seiner «Kritik der politischen Ökonomie», einer Vorstudie zum 1867 erschienenen ersten Band des «Kapitals», zusammenfaßte. Die Kernsätze



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