Geschichte der Geheimdienste by Wolfgang Krieger
Autor:Wolfgang Krieger
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406667855
Herausgeber: C.H.Beck
Die frühen sowjetischen Auslandsoperationen
Bereits im Februar 1920 soll Dserschinski die Devise ausgegeben haben, daß die Sammlung von Informationen die eigentliche Aufgabe der Tscheka sei, und zwar mit dem Ziel, konterrevolutionäre Aktivitäten und Gruppierungen möglichst frühzeitig auszuschalten. Insbesondere sollten Verbindungen zu Emigranten aufgespürt werden, die aus dem Ausland den anhaltenden Widerstand gegen die Bolschewiki organisierten. Bei geschätzten zwei Millionen, die vor den Bolschewiki ins Ausland flohen, war das eine gewaltige Aufgabe, für die eine besondere Auslandsabteilung gegründet wurde. Diese spezialisierte sich zunächst darauf, Tschekisten als diplomatisches Personal getarnt oder als Mitglieder von Handelsdelegationen zu entsenden. Erst Ende der 1920er Jahre begann man, parallel zu diesen durch offizielle Funktionen getarnten Agenten auch sogenannte Illegale zu entsenden, die unter einer falschen Identität und ohne sichtbare Verbindung zum Sowjetstaat im Ausland tätig wurden.
Die ersten dieser Agenten wurden 1921 nach Estland entsandt, das als Drehscheibe westlicher Geheimdienste und subversiver Emigrantentätigkeit galt, sowie nach Warschau und Ankara. Doch London und Paris galten als die gefährlichsten Zentren kapitalistischer Subversion. Hier knüpfte die Tscheka an eine Praxis an, die bereits zur Zarenzeit eine Rolle gespielt hatte. Am Ende des 19. Jahrhunderts soll es bis zu 5000 russische Emigranten gegeben haben, die – friedlich oder nicht – auf den Sturz der Zarenherrschaft hinarbeiteten. Deshalb baute die russische Geheimpolizei im Ausland, vor allem in den westeuropäischen Großstädten, ein Agentennetzwerk zur Beobachtung auf, wovon das bedeutendste unter Leitung eines gewissen Peter Rachkowsky in Paris tätig war. Seine Bedeutung rührte damals aus der engen Zusammenarbeit mit den französischen Sicherheitsbehörden, die ihrerseits den gewalttätigen Anarchismus bekämpften. (Man erinnere sich, daß 1894 der französische Staatspräsident Sadi Carnot bei einem Attentat ermordet wurde.)[9] Für die französischen Sicherheitsbehörden waren deshalb die russischen Geheimdienstaktivitäten in Paris eine willkommene Ergänzung der eigenen.
In dieser Hinsicht war die Situation seit den frühen 1920er Jahren eine völlig andere, denn die westlichen Regierungen hatten verständlicherweise an der Bekämpfung des antisowjetischen Widerstandes kein Interesse. Deshalb mußte die Tscheka nun unter anderen Voraussetzungen arbeiten und neue geheimdienstliche Kampfmethoden entwickeln, insbesondere solche der Unterwanderung und der Täuschung.
Ein erster Erfolg gelang ihr gegenüber der «Gesellschaft zur Verteidigung des Mutterlands und der Freiheit», welche der Sozialrevolutionär Boris Sawinkow leitete, der bereits im Bürgerkrieg sowie im sowjetischpolnischen Krieg von 1920/21 eine Rolle gespielt hatte. Sawinkow kooperierte mit dem polnischen Nachrichtendienst, lebte jedoch selbst in Paris. In der Person des Alexander Opperput, der sich als Deserteur der sowjetischen Seite ausgab, gelang es der Tscheka, einen Vertrauten in Sawinkows Nähe zu plazieren. Es begann die Operation SINDIKAT. Im Juli 1923 veranlaßte ein GPU-Offizier – die Tscheka war 1922 umbenannt worden – Sawinkow zu einer heimlichen Reise von Paris nach Moskau, wo er angebliche Untergrundführer treffen sollte. In Wirklichkeit landete er beim Obersten Sowjetischen Gerichtshof, wo er zum Tode verurteilt, seltsamerweise dann jedoch begnadigt wurde und kurz darauf in der berüchtigten Lubjanka «durch einen Unfall» zu Tode kam.[10] Zwei Jahre zuvor hatte man bereits 44 «Mitverschwörer» abgeurteilt, wie die Regierungszeitung Iswestija meldete.
Noch wirksamer und raffinierter war die «Operation TREST». Ende 1921 kontaktierte der Tschekist Alexander Jakuschew in Estland den Vertreter einer
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