Geisterfahrer by Tom Liehr

Geisterfahrer by Tom Liehr

Autor:Tom Liehr
Die sprache: deu
Format: epub


10. Schlager

Pepe sagte am Telefon, ich bekäme mächtigen Ärger, wenn ich die »Tour« abbräche. Ich hörte zu, wie er von »die Freundschaft kündigen« redete und irgendwelchen Regressforderungen, aber nicht wirklich ernsthaft. Das Hauptproblem war Werner. Pepe hatte zweimal versucht, meine Post und ein paar Sachen aus der Wohnung zu holen, aber entweder hatte Werners Daimler vor der Tür gestanden oder Hotte. Er war sogar ins Chateau Plaisir marschiert, da kannte ihn ja niemand. Jenny, die ich ihm beschrieben hatte, arbeitete tatsächlich wieder, aber meine Tapes liefen nicht mehr. Und Jennys linke Wange zierte ein faustgroßes Hämatom, außerdem humpelte sie, erzählte Pepe.

»Was willst du hier?«, fragte er.

»Was will ich hier?«, fragte ich zurück, allerdings halbherzig. Immerhin stand in vier Tagen – wenn ich richtig rechnete – der zweite Gig im Nachtschicht an, darauf freute ich mich sogar. Das war aber auch der einzige Lichtblick. Gestern hatte ich auf einem Feuerwehrfest im Bierzelt aufgelegt, zwischen einer unglaublich schlechten Westerncombo und der örtlichen Blaskapelle. Während eines Zwischenstopps in Uelzen hatte ich mich inzwischen bei Karstadt mit Schlagersamplern eingedeckt. Ich hatte noch nie bei Karstadt Platten gekauft. Und die Verkäuferin wollte mich auch noch anmachen, indem sie mir erklärte, dass wir genau den gleichen Musikgeschmack hätten. Ich hatte sie nur müde angegrinst und geantwortet, dass das Geschenke für meine so gut wie tote Urururoma wären. Inzwischen benutzte ich die Platten bei fast jedem Auftritt. Jens und Ute waren keine Freunde der »Hitparade« und ähnlicher Veranstaltungen gewesen, aber aus irgendeinem Grund konnte ich einige Texte fast auswendig. »Griechischer Wein«, »Sieben Fässer Wein« und all diese Sachen. Wein und Frauen namens Michaela. Darum ging es in Schlagern. Ich hasste sie.

»In einer Woche muss ich sowieso zurückkommen«, sagte ich.

»Keine gute Idee«, meinte Pepe. »Nimm ein bisschen Urlaub oder so. Dieser Pufftyp macht einen beharrlichen Eindruck.«

»Wie geht’s den anderen?«, fragte ich, weil mir keine Antwort einfiel.

Pepe schwieg einen Moment. »Osti ist abgetaucht, keine Ahnung, wohin. Neuner spielt ein Turnier in Bochum.«

»Aha.«

»Gönn dir ’ne Pause.«

»Mal sehen.«

Pepe legte auf, ich lauschte noch ein Weilchen dem Tuten. Vielleicht bildete ich mir das ein, aber es klang nach Berlin. Vor der Telefonzelle stand eine grauhaarige Frau in einer Kittelschürze, die eine Plastiktüte mit beiden Armen vor dem Bauch hielt und mich anstarrte, als wäre ich ihr im Krieg verschollener Sohn.

Die nächsten zwei Auftritte waren gruselig, ein weiteres Firmenjubiläum, danach ein Polterabend in einem Vereinsheim. Ich war längst zu geschafft und genervt, um irgendwas oder -jemanden wahrzunehmen, Frauen eingeschlossen, spulte mein Programm runter, ignorierte Anmachversuche, soff wie ein Wasserbüffel und redete kein Wort mit meinen jeweiligen Herbergseltern. Die Feiernden wurden sich immer ähnlicher, aber auch der äußere Vergleich fehlte mir; die Erinnerung an die Mucken in Berlin verblasste, mir kam das Zeit- und Ortsgefühl abhanden, ich schlug morgens – oder eigentlich mittags – vorsorglich in alle Richtungen nach dem Wecker, aß ausschließlich Wiener Schnitzel oder Kassler mit Salzkartoffeln, meistens an Autobahnraststätten, wofür ich extra auf die Autobahn fuhr, trank massenweise Kaffee und ließ das ohnehin quäkende Autoradio meistens ausgeschaltet. Ich konnte und wollte keine Musik mehr hören.



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