Freud in 60 Minuten by Walther Ziegler

Freud in 60 Minuten by Walther Ziegler

Autor:Walther Ziegler
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Books on Demand
veröffentlicht: 2015-03-14T16:00:00+00:00


Ein klassisches Beispiel für die Sublimierung ist die getrenntgeschlechtliche Erziehung an reinen Mädchen- oder Jungengymnasien, wie es sie in vielen europäischen Ländern noch in den siebziger Jahren gab. Der Sinn dieser Erziehungsmaßnahme bestand darin, dass die Jugendlichen ihre libidinöse Energie nicht auf die gegengeschlechtlichen Sexualpartner richten, sondern auf die Lateinvokabeln. Der Sexualtrieb wird in Lernleistung sublimiert.

Auch Wissenschaftler sublimieren, wenn sie sich an langen Abenden der Forschung widmen. Laut Freud beruhen sogar alle kulturellen Leistungen einer Gesellschaft, also Kunst, Musik, Religion, Philosophie und Recht auf dem Vorgang der Triebsublimierung. Die Kultur nötigt die Menschen, ihr einen Teil der persönlichen Energie zur Verfügung zu stellen, indem sie das direkte Ausleben der Triebe durch Gesetze und moralische Tabus unmöglich macht oder einschränkt.

Ein einfaches, aber aktuelles Beispiel für die gezielte Sublimierung libidinöser Energie auf ein Ersatzziel yndet man auch im Bereich des Sportes. Im Trainingslager bei Fußballweltmeisterschaften dürfen bekanntlich keine Frauen in das Camp der Fußballspieler. Insbesondere in der Nacht vor einem wichtigen Spiel ist das strengstens verboten. Es gab deshalb schon Skandale, da immer wieder mal einzelne triebstarke Spieler gegen dieses Tabu verstießen und nachts heimlich über den Zaun des Trainingslagers kletterten.

Der Sinn dieser erzwungenen Askese besteht darin, dass die jungen Männer, in der Terminologie Freuds formuliert, einen Triebstau haben, wobei sich die gestaute Libido zusätzlich mit aggressiven Triebanteilen aus dem Es vermischt. Wenn die Spieler dann den Rasen betreten, übertragen sie unbewusst ihre ganze Wut auf die vermeintlichen Verursacher ihrer Triebunterdrückung, die gegnerische Mannschaft, und spielen mit umso größerem Engagement und gesteigertem Kampfgeist.

Im umgekehrten Fall, wenn die jungen Sportler die ganze Nacht mit ihren Frauen verbracht hätten, würden sie völlig entspannt, zufrieden und gelassen auf das Spielfeld gehen und natürlich verlieren. Die im Sport strategisch eingesetzte Sublimierung von libidinöser Triebenergie in aggressive Entschlossenheit mag harmlos erscheinen; doch von ethnologischer Seite wird bestätigt, dass auch Indianerstämme im Vorfeld von Kriegszügen sexuell asketisch lebten und sich stattdessen mit ritualisierten Tänzen in die erforderliche Aggressionsstimmung brachten. Der von Freud beschriebene Vorgang der Sublimierung als einer Umlenkung von Triebenergie auf ein anderes Ziel ist eine archaische und verbreitete Fähigkeit der Individuen, die den Kulturaufbau überhaupt erst ermöglicht.



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