Feuerball by Wolf Klaus-Peter

Feuerball by Wolf Klaus-Peter

Autor:Wolf, Klaus-Peter [Wolf, Klaus-Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-04-03T22:00:00+00:00


22

Ulf Maiwald duschte. Dann rief er Sylvia an. Ihre Stimme klang matt, farblos. »Du hörst dich ja völlig fertig an.«

»Das bin ich auch.«

»Dann geht es dir wie mir. Ich könnte vorbeikommen und mir von dir Wein ins Gesicht kippen lassen«, scherzte er. »Wir könnten uns so einen richtig tollen Abend machen.«

»Sei nicht sauer. Es hat nichts mit dir zu tun … Jens Roth war hier... Ich möchte jetzt lieber allein sein. Es geht mir echt mies und ich …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Sie hörte einfach auf. Er versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen und einfühlsam zu sein. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ruh dich aus. Wir sehen uns dann morgen in der Sauna. Tschüss.«

Das Klicken in der Leitung kam ihr kalt vor. Keine netten Abschiedsworte, nichts. Er hatte einfach aufgelegt. Sie hätte heulen können, so einsam fühlte sie sich plötzlich.

Die Stille bekam etwas Drückendes. Er hätte nicht so rasch aufgeben dürfen. Verdammt. Wo blieb sein Instinkt, seine Hartnäckigkeit? Es würde ihr gut tun, jetzt zu reden. Sie brauchte ein Gegenüber. Einen warmen, lebendigen Körper: Ihn!

Sie tippte seine Nummer ins Telefon. Er hob sofort ab.

»Ulf?!«

»Du? Sylvia, bist du es?«

»Ja. Ich. Komm. Bitte, komm rasch.«

Wieder seine kurz angebundene Art. Er sagte knapp: »Bin schon da!« und legte auf.

Sie schloss, den Hörer in der Hand, die Augen und kämpfte mit den düsteren Gedanken. Das Bild ging ihr nicht aus dem Kopf.

Der fünfzehnjährige Jens, zum kleinen sechsjährigen Kind geworden, mit Schnodder an der Nase, zitternd und frierend im Erinnerungsschnee stehend. Dieses Bild: Der kleine Junge in seiner ganzen Verlorenheit, voller Schuldgefühle, voller Angst, von der ganzen Welt verstoßen zu werden … Sie hielt das Bild kaum aus …

Und da war noch etwas: Es katapultierte sie zurück in ihre eigene Kindheit. In die Kälte der eigenen Kindheit.

Ihre Eltern hatten Erziehung mit Dressur verwechselt. Permanente Schuldzuweisungen nannten sie Liebe. Dieses ständige Herumgezerre an ihr … diese Forderungen … Sie konnte all das körperlich spüren, als tief sitzende Verletzung in sich selbst.

Um diese Wunde zu schließen, war sie Therapeutin geworden. Doch manchmal flammte der alte Schmerz wieder auf.

Und sie fühlte sich durch ihn mit Jens verbunden. Sie war dreißig Jahre älter als er, und folglich war es völlig unmöglich, doch sie stellte sich jetzt vor, wie gut es damals für sie und Jens gewesen wäre, wenn sie sich gekannt hätten. Sie beide als Vorschulkinder...

Als sie klein war, hatte sie oft davon geträumt, zu sterben. Dann würden alle um ihr Grab herumstehen und um sie trauern. Das hätten sie dann davon, hatte sie schadenfroh gedacht. Sie brachte sich nur deshalb nicht um, weil sie nicht sicher war, ob sie den anderen damit wirklich eins auswischte. Was, wenn niemand um sie weinte, sondern man ihrem Tod genauso gleichgültig gegenüberstand wie ihrem Leben?

Sie hatte sich selbst, statt sich zu töten, kleine Verletzungen beigebracht. Schnitte mit dem Obstmesser. Verbrennungen an der Herdplatte. Was, wenn Jens die Aggressionen, die sie damals gegen sich selbst gerichtet hatte, gegen die Umwelt auslebte, indem er Brände legte?

Sie war bereit, Ulf ihre Bedenken mitzuteilen.



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