Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken (German Edition) by Böhmer Nina

Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken (German Edition) by Böhmer Nina

Autor:Böhmer, Nina [Böhmer, Nina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HarperCollins
veröffentlicht: 2020-07-13T16:00:00+00:00


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ES IST WAS FAUL IM STAATE …

Unser Gesundheitssystem gleicht einem Patienten mit einer offenen Wunde, die einfach nicht heilen will, egal wer gerade an ihr herumdoktert. Eine Menge Leute – allen voran Politiker – stehen am Krankenbett, äußern sich besorgt und denken darüber nach, was als Nächstes getan werden muss, um für Linderung zu sorgen. Sie machen auf Arzt, agieren aber in Wahrheit wie mittelalterliche Wundheiler: Sie sehen das Offensichtliche, dass es dem Patienten nicht gut geht, und haben Ideen, was zu tun sei. Aber es fehlt ihnen an Mut, Entschlossenheit, Mitteln und Wissen, den Kranken über den Berg zu bringen. Sie freuen sich, dass es ihnen gelingt, den Zustand des Patienten Jahr für Jahr zu stabilisieren. Hier tragen sie eine Tinktur auf, dort probieren sie eine neue Salbe. Es bleibt jedoch, wie es schon immer war: Kaum schließt sich die Wunde an einer Stelle, öffnet sie sich an einer anderen. Deshalb beginnen die Wundheiler von Neuem mit der Diskussion, ob man nicht etwas anderes probieren müsste. Dem Patienten ist damit nicht wirklich geholfen, der Heilungsprozess kommt jedenfalls nicht richtig in Gang. Aber immerhin gibt es ein Trostpflaster: Der Patient lebt.

Doch dann kam die Corona-Krise und suchte auch Deutschland heim. Weil Tinkturen und Salben nicht mehr halfen, musste der Patient auf die Intensivstation. Sein Leben hing am seidenen Faden. Zwar war die technische Ausstattung der Intensivstation alles andere als mittelalterlich, sondern hochmodern. Aber dafür fehlte es – hört, hört! – an echten Doktoren und Schwestern. Die Wundheiler schauten abermals bedröppelt und bedauerten den Zustand des Kranken. Da sie plötzlich Angst hatten, dass der Patient kollabiert, verfielen sie in hektische Betriebsamkeit und ordneten viele Dinge an, damit er nicht tot umfällt. Nachdem die Medien über den Zustand des Todgeweihten berichteten, übten sich die Wundheiler in Sprechblasen und gelobten Besserung, Dinge zu tun, die endlich wirken. So tun sie es nämlich immer, wenn die Bevölkerung merkt, dass die Wundheiler keine Wunderheiler sind.

Die oberste Wundheilerin unter den Politikern, Angela Merkel, sagte Mitte März in einer Fernsehansprache an das Fußvolk: »Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit zuallererst an alle wenden, die als Ärzte oder Ärztinnen, im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten. Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie. Sie sehen als Erste die Kranken und wie schwer manche Verläufe der Infektion sind. Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Menschen da. Was Sie leisten, ist gewaltig, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.«

Ich glaube Frau Merkel, dass ihre Würdigung aufrichtig war, dass sie erkannt hatte, wie wichtig Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern, Therapeuten, Notfallwagenfahrer und andere Mitarbeiter in Kliniken und Praxen waren, um die Corona-Krise zu bewältigen. Aber ich komme nicht umhin zu betonen, dass Frau Merkel seit November 2005 Bundeskanzlerin ist und als Chefin der Wundheiler so etwas wie Hauptverantwortung für den Zustand des Dauerpatienten trägt. Es ist wahr: Wir Beschäftigte des Gesundheitswesens leisten Gewaltiges. Aber erstens ist das immer so und nicht nur in der Krise.



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