Ernest Callenbach by Oekotopia

Ernest Callenbach by Oekotopia

Autor:Oekotopia [Oekotopia]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rotbuch, 3. Aufl., 1995
veröffentlicht: 2014-03-01T16:00:00+00:00


(28. Mai) Gestern morgen kam ein Brief von Francine – über den vereinbarten Notbriefkasten in Kanada eingeschmuggelt. Es war irgendwie ein Schock für mich, als ich ihn erhielt – hatte wirklich erwartet, nur dann, wenn etwas völlig verkehrt liefe, von ihr zu hören. Die gleichen Verrücktheiten wie immer in ihrem Leben: neue Pläne, die Kunstszene in Erstaunen zu versetzen, ein großer sexueller Coup auf einer Cocktail-Party in einem Konsulat – ihr erster waschechter Botschafter! Vielleicht vermißt sie mich – das wäre allerdings ganz etwas Neues. Und sie würde es nie auf dem Papier zugeben, wenn überhaupt. Ein Maximum an Freiheit gewähren: das sind die Spielregeln…

Später ging ich zu einem der ökotopianischen Jahrmärkte, wie sie allmonatlich in vielen Dörfern und Städten abgehalten werden. Überraschend groß und gut organisiert. Er dauert hier drei Tage und ist auf dem Platz vor dem Rathaus aufgebaut, der zum Teil gepflastert, dabei aber mit schattenspendenden Bäumen bestanden ist und einige Brunnen und einen kleinen Wasserlauf besitzt; auch die Stufen des großen alten Rathauses sind vom Jahrmarkt in Beschlag genommen – sie dienen als Orchesterpodium sowie als Bühne für Schauspieler, Pantomimen und Jongleure. Der Platz war mit Buden und Ständen aller Art übersät: Handwerker, Bauern, die eigene Erzeugnisse anboten, Speisen- und Getränkeverkäufer, Wahrsager, Porträtier-Künstler, Musikanten. Das Ganze sieht aus wie ein Dorf: die Budenleute haben direkt hinter ihren Waren Zelte aufgeschlagen, in denen sie für einige Tage leben.

Wieviele von den Tausenden, die dort herumschlendern, potentielle Kunden und wieviele nur Freunde, Familienmitglieder und Kinder der Händler sind, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall spielt die wirtschaftliche Seite keine übermäßig große Rolle. Eigentlich ist der Jahrmarkt mehr ein riesiges Fest, auf dem auch ein wenig verkauft, getauscht und gehandelt wird. Die Leute haben hier Gelegenheit, Freunde von außerhalb zu treffen (viele der Kaufleute kommen aus Gruppen, die draußen auf dem Land leben, aber regelmäßig an den Märkten teilnehmen und dort ihre Waren verkaufen). Am Rand des Jahrmarkts treten Musikgruppen auf, und abends, wenn sich anscheinend die meisten Leute versammeln, wird getanzt.

Dieses Wochenende gehörte nicht zu den vieren im Jahr, an denen die sexuelle Freizügigkeit angeblich besonders groß ist (vor zwei Monaten war Tagundnachtgleiche), aber es ging auf jeden Fall lockerer zu als gewöhnlich. Vielleicht als Reaktion auf Francines verrückten Brief betrank ich mich, wurde verwegen und folgte zwei koketten jungen Frauen in ein Zelt. Es ist zuweilen schön, alle Gedanken an ›ernsthafte Beziehungen‹ beiseite zu schieben, und sie gingen bereitwillig auf das Spiel der Anonymität ein. Wahrscheinlich ist es die Folge meiner puritanischen Erziehung, daß ich zuvor noch nie mit zwei Frauen gleichzeitig zusammen war (obwohl ich mir oft gewünscht habe, einmal den Mut zu einem Versuch aufzubringen). Diese Mädchen nahmen die Sache ganz gelassen und selbstverständlich, was es mir einfacher machte. Manchmal konzentrierten sich beide auf mich, dann wieder teilte ich eine mit der anderen. Sie schienen zum Sex das gleiche Verhältnis zu haben wie wir zum Essen oder vielleicht zum Laufen – eine angenehme biologische Funktion, aber ohne irgendwelche tieferen gefühlsmäßigen Erwartungen. Sehr entspannend…

Auffällig ihr natürliches



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