Ereigniskritik by David Espinet

Ereigniskritik by David Espinet

Autor:David Espinet
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2017-03-15T00:00:00+00:00


4/Der differenzielle Rahmen der Handlungsfreiheit

Die Auflösung der theoretischen Antinomie hat also praktische Folgen. Bevor diese Folgen im nächsten Paragraphen unter der Frage nach den Voraussetzungen menschlichen Glücks in den Blick kommen, werden einige abschließende Überlegungen von handlungstheoretischer Relevanz entwickelt. Das depotenzierte Argumentationsmuster im Sinne der Minimalthese, das Kant in den einzelnen Versuchen einer Auflösung des Antinomieproblems sukzessive und mit zunehmender Klarheit ausführt (und leider immer wieder in die Maximalthese hineinverwickelt), besteht darin, einerseits den antinomischen Widerspruch logisch aufzulösen, ohne dabei aber andererseits die Heterogenität von Natur und Freiheit ontologisch aufzuheben. Wie die bisherigen Ausführungen zeigen sollten, kann man auch mit Kant das Verhältnis von Natur und Freiheit so verstehen, dass lokale Interaktionen unter den Bedingungen beider Kausalitäten möglich sind, ohne dass man eine Identität beider Bereiche annehmen müsste. Man verfehlt Kants Argumentationsstrategie „auf der Grenze“ also, wenn man meint, es gehe diesem darum, einen vermeintlich aporetischen Dualismus zugunsten einer ursprünglicheren Einheit aufzulösen. Ein solches Missverständnis führt sodann dazu, dass man entweder – wie die Kausalisten – die Handlung vollständig naturalisiert oder aber diese – wie die Intentionalisten – vollständig aus dem Bereich der Natur herausnimmt und damit letztlich die handlungsmotivierende Gesinnung hyperbolisiert:214 Während die kausalistische Position Handlungen als natürliche Phänomene beschreibt, die man durch Absichten kausal hinreichend erklären könne, vertritt die intentionalistische Richtung die These, dass Handlungen durch Absichten nur begrifflich interpretiert werden können, weil zwischen Handlung und Überzeugung kein kausales, sondern lediglich ein begriffliches Verhältnis bestünde. Die Vorteile der jeweiligen Konzeption sind zugleich deren Nachteile: Während man als Kausalist scheinbar keine Schwierigkeiten hat, die Wirksamkeit einer Absicht als eine (vielleicht etwas kompliziertere) Version raumzeitlicher Ursächlichkeit zu erklären (ohne dabei freilich an ein Ende zu kommen), bleibt letztlich jedoch unklar, weshalb man weiterhin von ‚Überzeugungen‘, ‚Absichten‘ oder ‚Gründen‘ sprechen sollte: diese wären einfach nur triviale Ereignisse wie alle anderen raumzeitlichen Vorkommnisse auch.215 Indem man die Handlung vollständig mit dem trivialen Ereignis identifiziert, hat sich die Erklärung gleichsam selbst wegerklärt, jedenfalls erklärt sie gerade nicht mehr, was sie erklären wollte, nämlich den Unterschied zwischen freien und unfreien Handlungen, von denen letztere nichts anderes als triviale Ereignisse sind. Auf der anderen Seite kann sich der Intentionalist zwar zugutehalten, dass er die differentia specifica zwischen unfreier ‚Handlung‘ und freier Handlung aufrechterhält, was ihm erlaubt, dem begrifflichen Anteil von Überzeugungen und Gründen Rechnung zu tragen: dem Umstand nämlich, dass wir zu unseren Handlungen durch Überzeugungen, Absichten und Gründe in einem begrifflichem Verhältnis stehen (können). Damit wird allererst so etwas wie ein eigenständiger Handlungsbegriff möglich, denn wer die Handlung restlos naturalisiert, sollte besser von einem ‚trivialen Ereignis‘ sprechen.216 Allerdings muss der Intentionalist, der den sinnlichen Bereich ausblendet, von seinem Standpunkt aus argumentieren, dass wir unsere Handlungen nur im Lichte von Absichten interpretieren, nicht aber durch Gründe real bewirken. Würde dies stimmen, dann würde dadurch aber die Absicht gewissermaßen nur in die Handlung hineingedeutet und die Ursächlichkeit von Gründen, kurz: die Handlung als Handlung, die nicht nur in guten oder schlechten Absichten besteht, sondern real geschieht, weginterpretiert. Was wir jeweils unter ‚Handlung‘ verstehen würden, wäre dann



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