Eine Bank am Seerosenteich by Annika Thor

Eine Bank am Seerosenteich by Annika Thor

Autor:Annika Thor
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


18

Zu Hause liegt ein Brief für sie auf dem Tischchen in der Diele.

Liebste Steffi!

Vielen Dank für deinen Brief, über den wir uns sehr gefreut haben. Verzeih, dass die Antwort auf sich warten ließ! Die Arbeitstage sind lang und wir arbeiten so schwer, dass kaum Zeit für das Wichtige bleibt; dir und Nelli zu schreiben.

Mama musste mit ihrer Arbeit bei der alten Dame aufhören und arbeitet jetzt in einer Fabrik. Das heißt, dass sie einen noch weiteren Weg hat als vorher. Die Nachmittage verbringt sie damit, vor Läden, Schlange zu stehen, in denen Juden einkaufen dürfen. Dort verkauft man halb verfaultes Gemüse und verdorbenes Fleisch, das die normalen Geschäfte nicht verkaufen konnten. Ich muss jetzt zu Fuß zu meiner Arbeit und nach Hause gehen. Juden dürfen nicht mehr mit der Straßenbahnlinie 40 zum Jüdischen Krankenhaus fahren!

Das Leben hier wird immer unerträglicher, und wer kann, versucht wegzugehen. Deine Freundin Evi ist letzte Woche zusammen mit ihren Eltern ausgereist. Bis zuletzt haben sie geglaubt, die seien geschützt, da Evis Mama Katholikin ist. Aber die Verfolgungen haben so zugenommen, dass sich niemand mehr sicher fühlt. Sie reisen über Portugal zu Verwandten nach Brasilien.

Wir haben zusammen mit Tante Emilie und ihrem Mann erneut einen Antrag auf das Konsulat der USA gestellt. Sie hat es geschafft, Kontakt zu entfernten Verwandten in New Jersey aufzunehmen. Die haben versprochen uns zu helfen. Vielleicht haben wir diesmal mehr Glück. Wir geben die Hoffnung jedenfalls nicht auf, nicht, solange wir wissen, dass unsere Töchter da draußen auf uns warten. Aber falls es misslingt und die Briefe och länger auf sich warten lassen, sollst du wissen, dass wir an dich und Nelli denken, jeden Tag, jede Stunde.

Viele liebe Grüße von deinem Papa.

Innerhalb eines Augenblicks ist die Freude, die sie eben noch empfunden hat, wie weggewischt.

Wenn sie doch heute nach Hause zu ihren Eltern hätte kommen und ihnen erzählen können, was sie getan hat. Sie würden stolz auf sie sein, das weiß sie.

Warum muss ausgerechnet über ihr so ein dunkler Schatten liegen? Warum darf sie nicht wie andere Mädchen sein, die keinen größeren Kummer haben als schlechte Zensuren oder eine Nase, die nicht gerade genug ist?

Warum haben die Eltern sie nur weggeschickt?

Zu ihrem eigenen besten, schon, aber trotzdem ...

Sie fühlt sich einsam, so einsam und vollkommen verlassen.

Durch die Wand, die sie von Svens Zimmer trennt, dringt ein Melodiefetzen.

Vorsichtig klopft Steffi an die Tür zu Svens Zimmer.

„Herein.“

Sie öffnet die Tür.

„Du bist das? Komm und setzt dich.“

Er räumt ein paar Bücher und Papiere von einem Stuhl und setzt sich selbst aufs Bett. Steffi bleibt mitten im Zimmer stehen.

„Was ist?“, fragt Sven. „Ist etwas passiert?“

Da beginnt sie zu weinen. Kein Schluchzen, nur Tränen, die ihr lautlos die Wangen hinunterlaufen.

„Stephanie“, sagt Sven, „kleine Stephanie. Komm her und setzt dich zu mir.“

Als sie sich immer noch nicht rührt, steht er auf, nimmt sie bei der Hand und führt sie zum Bett. Er setzt sich neben sie und legt einen Arm um ihre Schultern. Sie lehnt den Kopf an seine Brust und spürt die Wärme seines Körpers. Er duftet schwach nach Rasierwasser.



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