Eine Abhandlung über Gleichheit und Parteilichkeit by Nagel Thomas

Eine Abhandlung über Gleichheit und Parteilichkeit by Nagel Thomas

Autor:Nagel, Thomas [Nagel, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-03-06T23:00:00+00:00


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Gleichheit und Motivation

Ich möchte im folgenden darüber nachdenken, welche Formen der Fortbildung menschlicher Antriebe die Umsetzung eines in höherem Maße auf Gleichheit orientierten Gesellschaftsideals möglich machen könnten.[*] Angesichts der unausräumbaren Attraktivität des Egalitarismus wie auch seines dramatischen Scheiterns und im Schlaglicht der politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen, zu denen beide Faktoren Anlaß geben, führt an unserer Frage kein Weg vorbei: An einem Ideal wie diesem könnte nur festgehalten werden, sofern es allseitig internalisiert würde. Während es zwar stets politische Institutionen sein werden, die bei der Herstellung gesellschaftlicher und ökonomischer Egalität die entscheidende Rolle spielen, vermögen die dafür nötigen Institutionen derlei Gleichheit nur zu erhalten, wenn sie bereits in ihrer Anlage eine Äußerung dessen sind, was eine hinreichende Zahl von Individuen fühlt.

Fundamentale Umbrüche im Hinblick auf die gesellschaftliche Duldung von Ungleichheiten sind durchaus möglich, und während meines eigenen Lebens ist es beispielsweise in den Vereinigten Staaten und in anderen westlichen Ländern zu einer solchen Haltungsänderung gegenüber insbesondere rassistischer und sexistischer Diskriminierung gekommen. (Die Einstellung der Öffentlichkeit zu religiös motivierter Diskriminierung hatte sich freilich schon etwas früher verändert.) Sie beschränkt sich nicht auf eine zunehmende Unverblümtheit der Reaktionen der Opfer selbst, sondern hat auch unter den potentiellen Nutznießern diskriminierender Politik auf breiter Basis zu dem Bewußtsein geführt, daß schlichtweg alle Privilegien, die sich einer solchen Praxis verdanken, illegitim sind. Ich hoffe nicht zu optimistisch zu sein mit meiner Annahme, daß heutzutage die meisten weißen Männer in den Vereinigten Staaten oder in Westeuropa kein gutes Gefühl mehr hätten, wenn sie aufgrund einer Politik, die bewußt Farbige oder Frauen von Arbeitsstellen oder Ausbildungsmöglichkeiten ausschließt, an eine Stelle oder an die Zulassung zu einer Ausbildungsstätte herankämen. Die überwiegende Mehrheit der potentiellen Nutznießer derart diskriminierender politischer Verfahrensweisen will eine solche Politik auf keinen Fall wieder zurückhaben und würde sich nicht glücklich schätzen, wenn sie sich auf der Gewinnerseite irgendeiner Rassen- oder Geschlechterschranke wiederfände. Die Menschen hätten das Gefühl, daß Profite, die auf diese Weise zustande kämen, anrüchig und sogar entehrend für sie wären. Dem war aber nicht immer so. Die gesetzliche Abschaffung offener Diskriminierung – vom Staat vollzogen, durchgesetzt und gegen Übergriffe geschützt – hatte alsbald profunde psychische Auswirkungen, die der gesetzgeberischen Maßnahme im Gegenzug wiederum Stabilität verliehen haben.

Es ist keineswegs leicht gewesen, rassistischer und sexistischer Diskriminierung in der Öffentlichkeit ein Ende zu bereiten, und dieser Umstand kann in kurioser Weise als ermutigend gewertet werden, denn er zeigt, daß zäher Widerstand gegen eine bestimmte Veränderung nicht notwendigerweise auch gegen ihre Stabilität sprechen muß. Allerdings hatten die Gesellschaften, in denen es zu diesen Reformen kam, schon seit geraumer Zeit ein schlechtes Gewissen gehabt – insbesondere was den Rassismus betraf –, und eine Menge heuchlerischer Rhetorik war bereits an der Tagesordnung.

Gleiches trifft jedoch nicht auch auf die gesellschaftliche Haltung gegenüber ökonomischen Ungleichheiten zu, es sei denn im Hinblick auf ganz außergewöhnliche Armut. Wer sich in einer Wettbewerbswirtschaft auf der Gewinnerstraße wiederfindet oder wer seinen Reichtum und seine soziale Stellung schlicht geerbt hat, tendiert weit eher zu der Einschätzung, er habe eben Glück gehabt oder er habe sich seine Bezüge



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