Diese Dinge geschehen nicht einfach so by Selasi Taiye

Diese Dinge geschehen nicht einfach so by Selasi Taiye

Autor:Selasi, Taiye [Selasi, Taiye]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-10-402623-7
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2013-02-21T17:00:00+00:00


Die Frau hinter ihnen, Tante Niké, schob sie weiter, die rubinroten Krallenfingernägel gruben sich in ihre Haut. »Was ist denn los?«, fragte sie – oder besser spuckte sie aus: feindselige Zischlaute, ein starker Lagos-Akzent, dazu passend das böse Gesicht. Niké drängelte und schubste ohne Pause, seit sie am Flughafen gelandet waren, und sie waren beide stumm vor Staunen, was die Tante für Ehrfurcht hielt, während sie ihre Koffer zog. »Hier entlang, Kinder«, rief sie und stieß sie in den Mercedes. »Fasst das Leder ja nicht an, ehn, eure Finger sind schmierig.«

Lagos hinter dem Fenster war nicht so, wie Kehinde es sich vorgestellt hatte, nicht üppig, nicht wie die Tropen, knallig gelb und grün. Lagos war grau, städisch-grau, die Luft versmogt und der Himmel bedeckt und durch hohe Gebäude verbaut, ein schmutziges Hongkong. Der Highway vom Flughafen war verstopft von riesigen Lastern und rostigen Okadas und zwischendurch immer wieder ein glänzender Mercedes, alle hupten, ein ununterbrochenes Gejaule der Empörung, die ganze Stadt sang eine Arie der Qual. Die Palmen wirkten erschöpft. Der Hafen war grau, die gleiche Farbe wie der Himmel, voller Lastkähne und Yachten. Als sie über die Brücke fuhren und die Insel Ikeja verließen, um aufs Festland zu gelangen, sah Kehinde ein riesiges Schild: THIS IS LAGOS. Nicht Willkommen in Lagos, nicht Lagos heißt Sie willkommen, sondern einfach nur THIS IS LAGOS.

»Das ist Lagos«, zischte Niké.

Er fand sie grotesk, diese Tante Niké, von der er noch nie gehört hatte und die ihre Haut mit chemischen Mitteln zu einem blassen Grau-Beige gebleicht hatte und deren gelbbraune Perückenhaare glatt auf die Schultern fielen. Roter Lippenstift und Rougepuder ließen ihren Mund und ihre Wangen blutig erscheinen, aber die schwarzen Augen verrieten sie – zeigten den angehäuften, abgestandenen Kummer, wie ranzige Pfützen. Grinsend kniff sie ihn in die Wange und zog. »Hübscher Junge, was?« Er hatte keine Angst vor ihr, da nicht, noch nicht.

Sie fuhren durch das Tor zum Apartment ihres Onkels, das von außen nicht nach viel aussah, vier oder fünf Stockwerke. Erst als sie die Vorhalle durchquerten und dann den Aufzug betraten, begriffen sie, um welche Ausmaße es hier ging. Das gesamte Gebäude gehörte dem Onkel. Alles, die ganzen vier Stockwerke gehörten ihm. Er warte oben im Penthouse, wurde ihnen auf dem Weg nach oben mitgeteilt. Niké schubste sie aus dem Aufzug. »Lasst euer Gepäck stehen – für die Houseboys«, mit der unbeherrschten Ungeduld eines Kindes an Weihnachten, »nach links, ehn, er wartet schon«, den extrem breiten Flur entlang zu einer großen Flügeltür, die weit offen stand und aus der laute Opernmusik schallte.

Ja, tatsächlich, er wartete. Dieser Onkel Femi, von dem sie gehört hatten und der erst spät aus dem Nichts auf dem Plan erschienen war, vor ein paar Monaten: die ideale Lösung für das Problem »Auf welche Highschool können die Zwillinge gehen?«, nachdem ihr Vater abgehauen und die Gebühren für die Prepschool unbezahlbar waren. Zu den Alternativen gehörte die angesehene öffentliche Highschool, die ihre Mutter an einem unseligen Nachmittag aufgesucht hatte: Sie bog gerade auf den Parkplatz ein, als ein Bus mit Metco-Schülern zwei Jungen ablud, die sich sofort prügelten und beschimpften.



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