Die Zeit der Glühwürmchen. Ein Inselgarten-Roman by Patricia Koelle
Autor:Patricia Koelle [Koelle, Patricia]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783104911519
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Taru
Groß Nemerow
2014
21
Gläserne Tiefe
Was war das? Sie war gefesselt. Gehörte sie jetzt zu den verschwundenen Kindern, die man verschleppt hatte? Hatte sie doch ein falsches Wort gesagt? Taru warf sich hin und her, aber ihr linkes Bein hing irgendwo fest, sie konnte sich nicht bewegen. Sie hört ein Prasseln, nein, ein Klicken, als ob jemand Steine gegen eine Fensterscheibe warf. Vielleicht war es Ilari? Sie musste ihm unbedingt sagen, dass etwas Schreckliches geschehen war! Sie hatte es gesehen. Sie war zum ersten Mal allein auf den Hochsitz geklettert, und da hatte sie es gesehen!
Jetzt hörte sie eine Stimme. »Taru, Taru, bitte, was ist los?«
Taru setzte sich hastig auf, rieb ihre verkrusteten Augen. Es war dunkel, aber im Schein des Nachtlichts, das sie in die Steckdose gesteckt hatte, als ihre Angst wieder begann, sah sie, dass sie nicht gefesselt war. Sie war völlig nassgeschwitzt, und ihr Bein hatte sich in der Bettdecke verfangen, die um den Pfosten geschlungen war, so heftig hatte sie sich herumgewälzt. Sie versuchte, die Bilder ihres Traums beiseitezuschieben und in die Gegenwart zurückzufinden. Es war so deutlich gewesen, deutlicher als all die Nächte zuvor.
»Taru, ist alles in Ordnung?«, rief draußen wieder jemand. Jara! Taru musste im Schlaf Geräusche gemacht haben, und Jara hatte es gehört.
Taru stolperte zum Fenster und lehnte sich hinaus. »Jara? Es ist alles gut. Ich habe wohl im Schlaf geredet.«
»Nein. Du hast im Schlaf geschrien! Das muss ein ziemlicher Albtraum gewesen sein. Komm herunter. Ich habe das Windlicht angemacht und eine Flasche Wein geöffnet. Ich habe sogar Kekse gebacken. Du kannst bestimmt nicht gleich wieder einschlafen. Es ist besser, wir reden eine Weile oder schweigen zusammen, wie auch immer du möchtest, aber bitte komm herunter! Ein wenig Gesellschaft tut dir gut.«
»Ja, danke! Ich bin gleich unten.« Auf gar keinen Fall würde sie heute noch einmal ins Bett gehen. Sie sah auf die Uhr. Zwei Uhr morgens. Sie lief ins Bad, duschte sich kurz kalt ab und zog hastig ihren Trainingsanzug über. Als sie aus dem Haus trat, atmete sie auf. Es war eine milde Nacht, die Sterne waren leicht dunstverhangen und funkelten sanft auf sie herab. Vom Mond war nichts zu sehen. Doch die Blüten im Mondscheingarten, die immer zahlreicher wurden, und die helle Sichel der Kiesumrandung leuchteten ihr entgegen. Der Duft von Geißblatt hüllte sie tröstlich ein, als sie sich in einen der Stühle setzte. Das Windlicht warf einen Lichtkreis auf den Tisch und ließ den Wein rot aufglühen. Jara schob Taru den Teller hin. »Nimm einen Keks. Das beruhigt.«
Jara schwieg, während Taru den Keks kaute, der zunehmend besser schmeckte, und ein halbes Glas Wein hinunterstürzte.
»Willst du’s mir erzählen?«, fragte Jara.
»Das war so verworren, das kann ich gar nicht erzählen.«
»Dann erzähl mir, warum du solche Angst vor der Dunkelheit hast. Ich möchte es verstehen. Für mich ist die Dunkelheit mein Freund, weil ich in ihr draußen sein und mich frei bewegen kann. Es muss doch einen Grund geben?«
Ein Nachtfalter umkreiste das Windlicht. Flügelschläge, fast lautlos. Taru zuckte zusammen.
»Fehlt dir dein Mann?«, fragte Jara sanft. »Bist du zu allein im Haus?«
»Nein.
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