Die vor den Toren by Clara Viebig

Die vor den Toren by Clara Viebig

Autor:Clara Viebig [Viebig, Clara]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2015-10-09T00:00:00+00:00


XII.

Es ging mit Mieke Badekow gar nicht gut. Wenn sich auch der Anfall von neulich nicht wiederholt hatte, so war sie doch immer nicht wohl. So schlaff, so müde; am liebsten lag sie oben in ihrer Stube auf dem Bett und schlief. Sie konnte gar nicht genug schlafen. Und essen mochte sie nichts, bis sie’s plötzlich wie eine Gier überkam und sie alles in sich hineinstopfte, was sie nur fand. Das bekam ihr allemal schlecht. Und doch wurde sie dabei ordentlich dick. Sie hatte immer sehr helle Haut gehabt, nun leuchtete sie ordentlich vor weißem Fett. Ihre Züge gingen in die Breite, ihr Gesicht verschwamm wie ein bleicher Vollmond.

„Se wird doch nich Wasser haben?“ sagte die Badekow.

„Na, so lassen Sie doch den Doktor holen!“ Grete hatte es schon vor Wochen gesagt. Aber es war etwas in der Mutter – Hanne Badekow hätte es sicher selber nicht eingestanden, daß es eine Scheu war – was sie abhielt, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Es würde auch schon so besser werden! Sie kochte verschiedene Tees und probierte an Mieke Sympathiemittelchen. Aber nichts half. –

Nun würde man doch den Doktor kommen lassen müssen. Diesen Morgen hatte sich der Anfall von damals wiederholt, nur viel schrecklicher. Stundenlang lag Mieke so in halber Bewußtlosigkeit, wie im Starrkrampf. Ein ganz merkwürdiger Zustand!

Sie standen alle um Miekes Bett. Diesmal hatte die Mutter doch Johanns alarmiert, es wurde ihr bange. Zufällig war auch Lene Lietzow gerade einmal vorgekommen: sie lief schnell wieder nach Hause, ihren Mann zu holen.

Nun stand Gottfried auch da, aber auch ratlos wie die anderen, und sah seinen Schwager Johann an. Und Johann sah Gottfried an, und Lene sah ihn auch an. Und dann sah Johann Grete an und Grete Johann, und etwas so Eigentümliches war in der Frau Blicken, daß des Mannes Augen ganz verwundert fragten: was meinst du denn?

Die geborene Schellnack zuckte die Achseln. „Mutter, ich würde Ihnen nu doch entschieden raten, nach dem Doktor zu schicken. Ich habe es Ihnen ja schon lange jesagt: wer weiß, was das is!“

„Sie hat recht, der Doktor muß kommen“, stimmte Gottfried bei. „Warum haste ihn denn nich schon längst holen lassen?“ Er wendete sich zur Schwiegermutter.

Die alte Frau murmelte etwas. Sie saß an Miekes Bett und betrachtete mit einer kummervollen Aufmerksamkeit das aufgeschwellte, in die Breite gegangene Gesicht. Sie war ganz versunken. Jetzt, da der Schwiegersohn ihr mahnend die Hand auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen. Mit beiden Händen sich an die Schläfen fassend, rief sie mit einer gereizten Erregtheit: „Ich mag keenen Doktor! Sie wissen alle nischt!“

„Ick bin ja ooch nich fürs Doktern. Aber nu kriegt man es doch nachgerade mit die Unruhe“, sagte Gottfried. „Ick wer’ man jehn und sehn, ob Schmidt zu Hause is!“

„Nee, nee!“ Die alte Frau haschte nach seinem Rockzipfel und ließ ihn nicht los. „Nich unsern alten Doktor, nich den Tempelhofer – man ja nich!“

„Warum denn nich?“

„Nich den, ach nee!“ Wie in Angst hob die Frau die Hände. „Ick weeß ooch nicht, ob – nee, nee, bloß unsern Tempelhofer nich!“

„Nanu?!“ Gottfried sah verwundert die anderen an und schüttelte den Kopf.



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