Die Versuchung des Pescara by Meyer Conrad Ferdinand
Autor:Meyer, Conrad Ferdinand
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
Viertes Kapitel
Durch seine lange Zimmerreihe schritt der Kanzler von Mailand ruhelos auf und nieder. Die Fensterläden waren gegen die brennende Nachmittagssonne geschlossen und nur durch eine Spalte schoß hin und wieder ein neckischer Strahl in die Dämmerung, einen grellen Streifen über die Fliesen ziehend, während die Tiefe der Gemächer im Geheimnis blieb. Doch nicht der schmalste Lichtblitz erhellte dem Kanzler die Seele Pescaras. Er hatte seinen ganzen Menschen preisgegeben, Pescara auch nicht ein Teilchen seiner selbst, und nicht nur ein Schuldiger und Geständiger war jetzt der Kanzler, sondern auch ein Gefangener oder nicht viel anders. Doch weit entfernt, daß seine Bloßstellung ihn gereut oder sein Halbgefängnis ihn geängstigt hätte: im Gegenteil, er schwelgte in der Großmut seiner völligen Hingabe. Nicht einmal sein schmählich verratener Herzog beunruhigte jetzt sein Gewissen, so gänzlich erfüllte ihn die Leidenschaft sich Pescaras zu bemächtigen und der Reiz seines Anschlages auf diesen einzigen Menschen, dessen große Haltung und ernstes Spiel in der eben beendeten Szene er aufrichtig bewunderte. Er setzte diese Szene fort: jedes Wort des Zwiegespräches wiederholte sich in seinem Ohr und selbst jede Miene und Gebärde desselben bildete sich ab in seinen Zügen und schwang in seinen Muskeln fort – doch über Sinn und Tragweite des Gesprochenen verstrickte er sich in unlösbare, in tödliche Zweifel. Eine Auslegung nach der andern verwarf er, um zuletzt zu dem wahrscheinlichen Schlusse zu kommen, noch sei Pescara ungewiß, noch liege er im Kampfe mit sich selber.
Da gedachte er sehnsüchtig der Bundesgenossin, die jede Stunde, jede Minute ihm bringen konnte, und der Wert Victoria Colonnas deuchte ihm unermeßlich. Nur eine solche konnte einen solchen besiegen. Nicht ein aufstachelndes, herrschsüchtiges Weib, wie damals deren manches in Italien sein Wesen trieb, sondern die edelste Frau der Zeit führte seine Sache, und in dieser jede Schönheit und Tugend Italiens verkörpernden und von seinen Freveln und Sünden freien Gestalt erschien ihm sein Vaterland so unvergleichlich und der Ruhm, es sich selbst wiederzugeben, so einzig, daß hier sogar ein Pescara und gerade ein Pescara unmöglich widerstehen konnte. Ein mit unsittlichen Mitteln wirkendes Bündnis verklärte sich in diesen himmlischen Augen zu einer Reinheit, die den Namen einer »heiligen Liga« in einem freien und weltlichen Sinne rechtfertigte. Die Bewunderung des göttlichen Weibes, welches, wie er glaubte, Italien zu retten berufen sei, wurde dem Kanzler zur Anbetung und seligen Inbrunst, denn er war der erhabensten und der gemeinsten Gefühle in gleicher Weise und Stärke fähig.
Jetzt da die gewonnene Zuversicht sein Inneres erhellte, verlangte es ihn nach dem Tageslichte, er stieß einen Laden auf und stand, sich umblickend, in dem sogenannten Schlangensaale, von welchem sein Herzog ihm oft erzählt, den er selbst aber noch nie gesehen hatte. Über dem Getäfel lief die vier Wände entlang ein gemaltes Geflechte von Schlangen, je zweie sich umwindend, die eine der feuerspeiende Drache der Sforza, die andere das entsetzliche Wappenbild der Visconti die Schlange mit dem Kind im Rachen. Legende oder Wahrheit, der süße Lionardo da Vinci galt als der Schöpfer des scheuseligen Kranzes: während seines langen Dienstes bei dem Mohren habe
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