Die Unvollkommenen by Theresa Hannig

Die Unvollkommenen by Theresa Hannig

Autor:Theresa Hannig [Hannig, Theresa]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-7380-6
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2019-05-07T00:00:00+00:00


31. KAPITEL

Zornig stapfte Lila nach Hause. Diese Frau machte sie wahnsinnig. Sie war noch nicht einmal wütend über die Demütigung, noch nicht einmal über die verschwendete Zeit, sondern darüber, dass sie sich wirklich gerne mit der Alten unterhalten hätte. Sie war stark, sie war stur, sie war witzig! Sie war die Einzige, die es schaffte, Samson Widerstand zu leisten. Genau so jemanden brauchte Lila. Nicht so einen unzuverlässigen Möchtegern-Romeo wie Eoin Kophler. Hätte sie die Alte nur früher kennengelernt! Hätte sie damals doch bloß Anna und nicht Samson Freitag vorgeschlagen, den Revolutionsgarden beizutreten. Die Frau hatte Rückgrat. Sollte Samson sich ruhig an ihr die Zähne ausbeißen. Aber dann wäre auch ihr eigenes Schicksal besiegelt. Das war so ungerecht! Lila suchte etwas, nach dem sie treten konnte, doch es gab in dieser verdammten klinisch reinen Stadt noch nicht mal einen Stein oder einen Ast oder irgendeinen weggeworfenen Müll, den sie hätte wegkicken können.

Im Haus Nummer 10 angekommen, beschloss Lila, das Problem analytisch anzugehen. Es hatte keinen Sinn, die Frau für ihren Starrsinn zu bewundern und sich selbst zu bedauern. Wenn Lila nicht in der Verwahrung enden wollte, musste sie ihr Ziel – Anna zum Reden zu bringen – rücksichtslos verfolgen. Sie kam nicht umhin, mehr über sie herausfinden zu müssen. Es musste irgendein Thema geben, das die Alte so bewegte, dass sie nicht länger schweigen konnte. Irgendetwas mit Samson. Zwischen Eltern und Kindern gab es doch immer so etwas! Bisher fischte sie im Trüben und hatte vor allem mit Bitten und Mitleid in Bezug auf sich selbst versucht, das Herz der Alten zu erweichen, aber das klappte nicht. Also musste sie härtere Geschütze auffahren, sich informieren und einen Plan aushecken.

Sie nahm den Reader zur Hand und öffnete das Bürgerprofil von Anna Freitag.

Name: Freitag, Anna

Art: Biologischer Mensch

Geburtsdatum: 09.11.1981

Integration: Nein

Familienstand: Verwitwet

Sozialpunkte: 500

Letzte Wohltat: Verjährt

Ausbildung: Studium der Theaterwissenschaften,

LMU (1,2), 2015

Ausbildung zur Journalistin an der Henri-Nannen-Schule, 2017

Erwerbstätigkeit: Kontemplation

Wohnort: Ammerseestraße 2, 82544 Hornstein

Aufenthaltsort: Ammerseestraße 2, 82544 Hornstein

Lila klickte auf VERWITWET und erfuhr, dass Samsons Vater – Jan Freitag – vor drei Jahren überraschend gestorben war. Er hatte im Schlaf einen Herzinfarkt erlitten und war nicht wieder aufgewacht. Sein Ende hatte aus mehreren Gründen große Bestürzung hervorgerufen: Jan Freitag war der Vater des Präsidenten der BEU gewesen, der sich nur eine Woche zuvor zum Herrscher von Ewigkeit zu Ewigkeit erklärt hatte. Außerdem wäre sein Tod zu verhindern gewesen: Hätten die Freitags nicht alle empfohlenen Kameras, Schlafmasken und Analysegeräte deaktiviert, wäre die Herzkrankheit frühzeitig entdeckt und behandelt worden. Immerhin war ihr Sohn an der gleichen Krankheit schon mit Anfang dreißig gestorben. Schlussendlich hatte Jan Freitag auch noch in seinem Testament verfügt, dass sein Bewusstsein nach seinem Ableben nicht auf einen Charakterchip übertragen werden durfte.

Schon bald musste Anna Freitag sich den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte mit ihrer Geheimniskrämerei nicht nur den Tod ihres Mannes billigend in Kauf genommen, sondern auch seine Erlösung verhindert, weil sie das Testament nicht angefochten hatte. Sie wurde öffentlich kritisiert, gar beschimpft. Lila fand einen Zeitungsartikel, dessen Aufmacher ein Bild des Hauses war, auf dessen Fassade jemand das Wort Privatmann geschmiert hatte.



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