Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition) by Pauly Gisa

Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition) by Pauly Gisa

Autor:Pauly, Gisa [Pauly, Gisa]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783492960793
Herausgeber: Piper (com)
veröffentlicht: 2012-08-19T22:00:00+00:00


14

Der Auslieferer arbeitete schweigsam, Mamma Carlotta fiel es schwer, aber sie schloss sich der Schweigsamkeit an. Was gab es zu sagen angesichts der Tragödie, die sich ereignet hatte? Nichts konnte die Frage beantworten, warum Saskia ausgerechnet jetzt, kurz vor der Operation in Boston, diesen Rückfall erlitten hatte.

»Hoffentlich sind sie noch rechtzeitig in der Nordseeklinik angekommen«, sagte sie, denn ein einziger Satz fiel bei Mamma Carlotta noch in den Bereich der Schweigsamkeit.

Sie beobachtete Björn verstohlen. Er war ein gut aussehender Mann – auf den zweiten Blick. Auf den ersten war er blass und kraftlos, von ständiger Verlegenheit geplagt und immer darauf bedacht, nicht aufzufallen. Er durchquerte einen Raum nicht, sondern drückte sich an der Wand entlang, ergriff selten das Wort und sprach, wenn überhaupt, nur sehr leise, in kurzen, abgehackten Sätzen. Er sah aus, als hätte es das Leben nicht gut mit ihm gemeint. Ob Andresen ahnte, dass sein Auslieferer ein Verhältnis mit seiner Frau hatte?

So wenig Ähnlichkeit die beiden Männer aufwiesen, in einem waren sie sich gleich: Auch Björn litt unter manischer Nervosität. Sein Körper stand unter ständiger Anspannung, seine Bewegungen waren ungeordnet und rastlos. Trotz seiner Jugend wirkte er verschroben und ein wenig wunderlich, er schien ebenso unter einem Zwang zu leiden wie Wolf Andresen. Björns Sorge war nicht die Unordnung, sondern die Frage, ob sein Hosenschlitz geschlossen war. Immer wieder fuhren seine Hände an den Unterbauch, tasteten den Hosenreißverschluss ab, schienen aber niemals glauben zu können, dass tatsächlich alles in Ordnung war, sondern tasteten schon wenige Augenblicke später erneut darüber. Carlotta Capella fühlte sich nicht wohl in seiner Gegenwart. Welch eine Obszönität! Was mochte Ulla Andresen nur an ihm finden?

Während sie die marinierten Champignons auf einer Platte anrichtete, beschloss sie, dass man es mit der Schweigsamkeit auch übertreiben konnte. Selbst im Angesicht einer Tragödie durfte man ein wenig plaudern. »Wo wohnen Sie eigentlich?«, fragte sie.

Björns Kopf wies nach rechts. »Nebenan. In der Pension Störtebeker.«

Mamma Carlotta war überrascht. »In einer Pension? Ja, wohnt denn Ihre Familie nicht auf Sylt?«

Björn schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Familie.«

»Keine Familie?« Mamma Carlotta fiel ein Champignon aus der Hand. Er rollte in eine Mauerritze, wo sie ihn so schnell wie möglich vergessen wollte. Die Vorstellung, ohne Familie zu sein, war so ungeheuerlich, dass es dabei auf einen einzelnen Champignon nicht ankam. Welch trauriges Schicksal! Was für eine Tragödie!

Gerade wollte sie Björn ihre Anteilnahme an seinem grässlichen Geschick versichern, da schepperte die Ladenglocke erneut, und Björn verschwand im Verkaufsraum. Mamma Carlotta sah nach, wer vor der Theke erschienen war. Diesen Mann kannte sie doch! Die rote Schirmmütze schien er ständig zu tragen, ohne diese Kopfbedeckung hätte sie ihn wahrscheinlich nicht wiedererkannt. Er warf ihr einen Blick zu, wandte sich jedoch schnell wieder ab. Trotzdem war Mamma Carlotta sicher, dass er sie gesehen und erkannt hatte.

Gekränkt drehte sie sich wieder um und beschäftigte sich weiter mit den Champignons. Sie hatte kein Verständnis für Menschen, die nicht freudig grüßten, wenn sie ein bekanntes Gesicht sahen. Da half es nichts, dass der Mann in diesem Augenblick sagte: »Die italienischen Vorspeisen sind wirklich vorzüglich.



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